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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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sich vor wie ein krallenbewehrtes Tier, dem man eine Rose gegeben hatte. Er wusste, dass sie schön war, aber nicht, wie er sie halten sollte.
    Kate stiegen die Tränen in die Augen, und Jack wischte sie mit seinen Daumen weg. Sophie flippte auf der Rückbank aus. Das Hupen hatte sich zu einem wütenden Crescendo gesteigert. Die anderen Autofahrer tippten sich nicht mehr an die Stirn, sondern streckten den Mittelfinger aus, als könnten sie auf diese Weise schneller ihre weltbewegenden Ziele wie Möbelgeschäfte oder Marketingmeetings erreichen. Wenn Jack Gewichte gestemmt hatte, fiel es ihm immer schwer, andere Leute oder ihre Gesten besonders ernst zu nehmen.
    »Du solltest besser fahren.« Was er auch tat.
    » Endlich «, sagte Sophie in einem so tadelnden Ton, dass alle drei lachen mussten.
    Der Verkehr floss jetzt ein wenig schneller.
    Jack fragte betont beiläufig: »Hat Tom in seiner SMS heute Morgen erwähnt, worüber er mit euch sprechen will?«
    Kate schüttelte den Kopf. »Nur ein bisschen reden nach dem Training, es ist sicher nichts Besonderes.«
    Jack schaute starr geradeaus.
    Nach dem kurzen Gespräch mit Dave am Morgen hatte er nur daran gedacht, wie er sich seinen eigenen Platz in London sichern konnte. Wie er noch härter trainieren konnte. Es war ihm egal, wenn er die Welt zwingen musste, sich andersherum zu drehen. Der Platz in London stand ihm zu.
    Als er auf den Parkplatz des Velodroms fuhr, wurde ihm klar, wie typisch es für ihn gewesen war, erst in der Umkleide daran zu denken, was diese Entscheidung für Kate bedeutete. Wenn er sich auf seinen Sport konzentrierte, waren andere Menschen – sogar die, die er liebte – nicht mehr existent. Sie tauchten flüchtig in seinem Bewusstsein auf und verschwanden wieder wie Gestalten in einem dunklen Zimmer, in dem eine fremde Hand willkürlich das Licht ein-und ausschaltete. Sobald er sich an sie erinnerte, wollte er auch das Richtige tun. Das war wohl alles, was er zu seiner Verteidigung vorbringen konnte.
    Er parkte und half Sophie, aus dem Sitz zu klettern. Dann hob er sie auf die Hüfte und stieß die Tür zu. Über dem Dach des Wagens begegnete er Kates Blick. Sie hüpfte von einem Bein aufs andere, weil sie sich auf das bevorstehende Training freute. Die Sporttasche schwang an ihrer Schulter hin und her, und der Wind, der um die graue Kuppel des Velodroms fegte, zerzauste ihr Haar. Jetzt wäre der richtige Augenblick, um es ihr zu sagen. Er müsste ihr von der Regeländerung erzählen, damit sie wenigstens einen winzigen psychologischen Vorteil gegenüber Zoe hatte.
    Doch sie war glücklich, und er hielt Sophie auf dem Arm, die furchtbar aufgeregt war, weil sie endlich das Haus verlassen und Kate beim Training zusehen durfte. Ihm war klar, dass er es nicht sagen würde. Im Augenblick wollte er nur an die nächste Stunde, die nächste Minute, die nächsten zehn Sekunden des Glücks denken. Solange in Badezimmern gelacht wurde und dem Straßenverkehr Küsse abgetrotzt wurden und Menschen auf windgepeitschten Parkplätzen lächelten, sollte alles so bleiben, wie es war. Jack klammerte sich an den Augenblick und an die zierliche warme Hand seiner Frau, während sie den kurzen Weg vom Auto zum Eingang des Velodroms zurücklegten.
    Kate eilte in die Umkleide, und Jack ging mit Sophie auf die Bahn, wo er sie vorsichtig auf einen Stuhl setzte und in eine schwarze Fleecedecke wickelte.
    »Gemütlich so?«
    »Ja.«
    Sophie zog sich den oberen Rand der Decke über den Kopf, damit er wie eine Jedi-Kapuze aussah. Ihre Augen konzentrierten sich ganz auf Zoe, die zum Aufwärmen geschmeidige, fließende Runden auf der Bahn drehte. In den Steilkurven an beiden Enden schwang sie hoch bis an den Scheitelpunkt, schwebte einen Moment lang zwischen Energie und Gravitation und segelte zurück zu der schwarzen Messlinie, wobei ihre Reifen einen singenden Ton von sich gaben. Sie trug einen weißen Skinsuit und einen weißen Helm mit schwarzem Visier, in dem sich die Linien der Bahn spiegelten.
    Sophie war wie gebannt. Sie streckte die Hand mit leicht gekrümmten Fingern in Richtung Zoe aus.
    »Was machst du da?«
    Sie runzelte die Stirn, weil Jack ihre Konzentration gestört hatte. »Ich wende die Kraft auf sie an.«
    »Wieso?«
    Sophie ließ die Hände sinken und starrte ihn an. »Damit sie stürzt, natürlich.«
    Jack öffnete den Mund, wusste aber nicht, was er sagen sollte.
    Sophie wandte sich ab und hob wieder die Arme. Er küsste sie auf den Kopf, ließ sie

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