Gold
schmerzhaft zusammenzog, wusste aber nicht, ob es wegen seiner Tochter oder seiner Frau war oder gar seinetwegen. Er hatte sich diese Frage nie gestellt. Wenn überhaupt, dann hatte er immer gedacht, dass Kate Sophie näherstand. Gewiss, auch er hatte seit ihrer Geburt eine intensive Bindung zu ihr, weil er und Kate mehr zu Hause waren als andere Eltern. Vermutlich kannte er sein Kind besser als die meisten Väter. Dennoch hatte er manchmal ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er so unerschütterlich glücklich war, während Sophie so viel durchmachen musste. Oft hatte er befürchtet, dass er eine innere Distanz wahrte und sich nur deswegen gut fühlte und von einem Augenblick zum nächsten leben konnte. Kate litt mehr als er. Sie war diejenige, die sich den Kopf über Ernährung und Pflege zermarterte, sie war diejenige, die alles stehen und liegen ließ, wenn es Sophie schlechter ging, und sie war diejenige, die dreimal nachts den Wecker stellte, um nach ihrer Tochter zu sehen. Und dennoch schien er Sophie näherzustehen.
Er senkte die Augen und sah unglücklich auf seine Handrücken.
»Ich habe dich als Erster auf dem Arm gehalten, wusstest du das?«, sagte er leise. »Du warst neun Stunden alt. Ich wusste nicht, wie es geht. Sie haben mir gezeigt, wie ich mir die Hände waschen und die Latexhandschuhe anziehen und die Hände durch die Löcher im Inkubator stecken musste. Alles andere musste ich allein herausfinden. Also stand ich da, die Hände in den Löchern, dein kleiner Körper vor mir auf einer blauen Plastikmatte, mit lauter winzigen Schläuchen und Zeug, das aus dir herauskam, und ich habe gedacht: Was soll ich jetzt machen? Ich hatte solche Angst, dich fallen zu lassen. Ich wusste nicht, wie man etwas so Einfaches tut wie dich zu halten, Sophie. Manchmal weiß ich es immer noch nicht.«
»Schon gut, macht nichts«, sagte Sophie.
Sie umarmten sich, und dann trug Jack sie in ihr Zimmer, damit sie sich ausruhen konnte. Als er wieder unten war und frischen Tee kochte, kam Kate in die Küche.
Sie lachte. »Richtiger Tee in einer Kanne? Heraus damit, was hast du angestellt?«
Er schoss herum, als er ihre Stimme hörte. »Was?«
»Du bist doch der Teebeutel-im-Becher-Typ. Du machst mir nur richtig anständigen Tee, wenn du ein schlechtes Gewissen hast.«
»Ehrlich?«
»Ja. Einmal, als du unseren Hochzeitstag vergessen hattest, und einmal, als dein Vater besoffen war und mich küssen wollte.«
Er runzelte die Stirn. »Das habe ich gar nicht gemerkt.«
Sie küsste ihn. »Siehst du? Ich kann in dir lesen wie in einem Buch.«
»In was für einem Buch?«
»Na ja, in einem dieser Bücher für Erstleser mit einer Liste der neu gelernten Wörter am Ende.«
»Und welche neuen Wörter haben wir gelernt?«
»Wunderbarer, gutaussehender, verdammter Idiot.« Sie zählte die Wörter an den Fingern ab.
Er schlang die Arme um sie. »Tut mir leid.«
»Was?«
»Dass ich so verdammt wunderbar und idiotisch gutaussehend bin.«
»Und dafür bekomme ich Tee?«
»Klar. Aber nicht alles auf einmal trinken.«
Sie drehte sich in seinen Armen um und schaute ihn an. »Spaß beiseite. Stimmt was nicht?«
»Wenn ich dir eine Kanne Tee mache, liegt mir also etwas auf der Seele? Willst du das sagen?«
»Genau.«
Er hob eine Augenbraue. »Es ist wirklich alles in Ordnung – tut mir leid.«
»Ehrlich?«
Er umarmte sie fester. »Ehrlich.«
Nach einer Weile schaltete Kate das Radio ein, und sie sahen durchs Küchenfenster hinaus und tranken ihren Tee, während The The Uncertain smile sangen.
»Erinnerst du dich noch?«, fragte Jack.
»Mein Gott, ja.«
»Nach meinem Unfall? Auf der Autobahn? Als du mich noch für einen Egoisten gehalten hast?«
»Ich halte dich noch immer für einen Egoisten.«
Er musterte sie, weil er wissen wollte, ob sie es ernst meinte. Dann folgte er wieder ihrem Blick. Am Schuppen in dem kleinen sonnigen Garten hinter dem Haus rostete Sophies Fahrrad vor sich hin.
Badezimmer, 203 Barrington Street, Clayton, East Manchester
Als Kate nach oben kam, erbrach sich Sophie gerade in die Toilette. Sie tat es undramatisch und resigniert, als fügte sie sich in etwas, das weniger angenehm als Zähneputzen, aber auch weniger anstrengend als Hausaufgaben war.
Kate rannte zu ihr. »Du Arme«, sagte sie und streichelte ihr über die heiße trockene Wange. »Warum hast du mich nicht gerufen?«
»Mir geht’s gut«, antwortete Sophie und wischte sich den Mund ab.
»War dir schon länger
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