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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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eigentlich immer nur du für die Sonnenseiten zuständig?« Und Dad antwortete: »Das ist ja wohl nicht dein Ernst.« Und dann fingen sie an zu streiten. Kate steckte sich die Finger in die Ohren.
    Nachts träumte sie manchmal davon, Geld zu finden. Hunderte Pfund, die sie im Garten ausgrub und Mum schenkte, damit sie nicht mehr so viel arbeiten musste.
    Dad und sie fuhren in seinem Rover 3500 zum Rennen. Das alte Auto war schön. Dunkelgelb wie Eidotter. Es knarrte und klapperte, war aber wunderbar groß und solide. Dort drinnen saß man in seiner eigenen Welt, vollkommen sicher und unzerstörbar. Dad ließ sie ausnahmsweise vorn sitzen. Mum sagte noch etwas, als Dad die Autotür schloss: »Um welche Zeit beabsichtigst du – « Rums . Und dann Stille, weil die Türen so groß und schwer waren. Es roch nach den Vinylsitzen und nach Dad. Er schnallte sie an. Er hatte ein Aftershave namens Joop! benutzt, mit Ausrufezeichen, als sollte man es schreien. Manchmal tat sie das, wenn sie allein war. Ohne zu wissen, warum.
    Joop!
    Dad fuhr auf die Straße, und sie sah durchs Seitenfenster, wie sich Mums Lippen bewegten.
    »Was sagt Mum?«
    »Keine Ahnung.«
    »Sollten wir nicht zurückfahren und sie fragen?«
    Dad seufzte und drückte ihre Hand. Dann schaltete er das Radio ein. Die Raumfähre Challenger war am Tag zuvor explodiert. Sie war gleich nach dem Start auseinandergebrochen. Alle redeten immer noch darüber – es war ein echter Schock gewesen. Gerade noch war sie weiß und unversehrt wie ein Milchzahn, eine leuchtende Form in der klaren blauen Atmosphäre. Dann plötzlich war der blaue Himmel von winzigen weißen Splittern erfüllt, die Farben verschmolzen ineinander. Kate war traurig, weil eine Astronautin Kinder hatte. Sie hatten Challenger, Schub erhöhen gesagt, und dann war alles auseinandergeflogen, hieß es im Radio. Kate wollte das nicht hören. Sie steckte sich die Finger in die Ohren und summte vor sich hin.
    In der Mitte des Lenkrads befand sich ein großer sechseckiger silberner Bolzen, der es mit der Lenksäule verband. Er war ein Instrument wie alle anderen, sagte einem, dass man exakt fünfundvierzig Zentimeter vom Tod entfernt war. Menschen wurden von diesen Bolzen getötet. Die Polizei traf an Unfallstellen ein und fand Väter, die eine säuberliche sechseckige Wunde zwischen den Augen, aber keinen überraschten Gesichtsausdruck hatten. Sie waren sich des Risikos bewusst gewesen. Es hatte ihnen jahrelang ins Gesicht geschaut.
    Als sie ankamen, holte Dad ihr Fahrrad aus dem Kofferraum. Er nahm Kate bei der Hand und trug das Fahrrad zum Start. Es waren vierzig oder fünfzig Kinder da, und sie hatte Angst. Viele Mädchen waren größer als sie. Einige hatten schnelle Räder mit Rennlenkern und dünnen Reifen. Ihres hatte nur Scooby-Doo-Aufkleber. Sie versteckte sich hinter Dads Beinen, bis das Rennen anfing.
    Es war eine Grasstrecke, die mit Holzpfählen markiert war, zwischen denen dünne orangefarbene Seile gespannt waren. Kate fuhr viel schneller als die meisten anderen. Sie lag so weit vorn, dass sie schon dachte, sie hätte etwas falsch gemacht, und damit rechnete, jeden Augenblick angeschrien zu werden. Nur ein Mädchen war schneller als sie. Sie fuhren eine Weile nebeneinander her. Kate schaute hinüber und lächelte, doch das andere Mädchen lächelte nicht zurück. Kate hätte noch schneller fahren können, doch sie fand es gemein, das andere Mädchen allein zu lassen. Als sie nach der ersten Runde wieder die Startlinie erreichten, lächelte Dad und reckte beide Daumen in die Höhe. Der Vater des anderen Mädchens war auch da. Er schrie: »Na los, komm schon! Du kannst sie schlagen!« Das andere Mädchen versuchte, noch schneller zu fahren. Wieder erreichten sie die Startlinie. Dad jubelte. Der Vater des anderen Mädchens rief: »Komm schon! Du bist doch schneller als die!« Er war wütend. Kate sorgte sich um das andere Mädchen. In der letzten Runde fuhr sie noch langsamer, aber das Mädchen war erschöpft. Sie streifte einen Pfosten mit dem Lenker und rollte ins Gras.
    Kate hielt an und ließ ihr eigenes Rad fallen. Sie atmete den modrigen Geruch von nassem Gras ein und hob das Rad des anderen Mädchens auf. Sie sagte: »Schnell!« Sie war nervös wegen des Vaters. Das Mädchen schaute sie an. Sie war sehr klein. Sie hatte Dreck im Gesicht und vorn auf ihrem Trainingsanzug. Sie fing an zu weinen. Kate flüsterte: »Hör auf.« Dann stellte sie das Rad hin und ließ das Mädchen aufsteigen.

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