GOLDAUGEN (German Edition)
Adam wie an Fäden gezogen vorbei und auf den Bären zu. Jetzt nahm er sie erst wahr, den kühlen Wind und dass sie nur einen dünnen Pulli anhatte. Er machte sich mehr Gedanken darüber, ob sie frieren würde, als über die braune Bedrohung.
» Lucy, nicht! Was machst du? Komm sofort zurück.«
Der Bär verhi elt sich auf einmal merkwürdig. Er kniete halb nieder und gab verängstigte Geräusche wie ein Baby von sich. Sie war bei ihm und berührte ihn mit beiden Händen.
In Bruchteilen einer Sekunde veränderte er sich, seine Haltung war nun aggressiv und Furcht einflößend. Sein Gebrüll war nicht von dieser Welt. Adam zog seine Nichte beiseite, sie flog zu Boden. Sein langes, auch Furcht einflößendes Messer fest umklammernd, wollte er dem massigen Ungeheuer trotzen. Der Bär stellte sich auf seine Hinterbeine und hieb mit seinen mächtigen Pranken unkontrolliert nach Adam. Der stach mit dem Messer nach oben in Richtung Brust des Bären, er war aber zu weit weg, um zu treffen. Des Monstrums Reichweite war erheblich größer. Der Bär traf mit der unbändigen Kraft seiner rechten Pranke und riss Adam den linken Arm regelrecht aus dem Schultergelenk, dazu einen Teil des Nackens und des Brustkorbs heraus. Sein Schmerzensschrei hallte kilometerweit über den See. Vor Schreck und Schmerz fiel ihm sein Messer aus der rechten Hand. Adam schrie wie von Sinnen. Das Blut spritzte aus der klaffenden Wunde. Er lief vom Haus weg, die kleine Auffahrt zur Straße hinauf, dort brach er ohnmächtig zusammen. Er wachte nicht mehr auf und verstarb an seinen Verletzungen. Der Blutverlust war durch das Zerreißen einiger Adern einfach zu groß. Adam Thorne sah seine Nichte nie wieder, und auch nicht, dass sich der braune Koloss auflöste, in sich zerfiel und nur ein Klecks zähflüssige Masse von ihm übrig blieb.
Lucys menschliche Hülle ging langsam an ihm vorbei, der leblose Körper ihres Onkels fand keine Beachtung. Wie ferngesteuert ging sie gemächlich zur Straße. Ein frischer Morgen stand in den Startlöchern und sollte nichts Gutes bringen. Etwa zehn Minuten später hielt der Fahrer eines Betonmischers an.
Seinem Eindruck nach, stand vor ihm ein wahrscheinlich taubstummes, augenscheinlich verwahrlostes Mädchen.
» Wie siehst du nur aus?«
Sie reagierte nicht wirklich und sprach nicht. Nur ihre Augen reagierten, aber sie sahen sonderbar aus. Diese Farbe kannte er nicht. Irgendetwas Schlimmes musste ihr widerfahren sein. Darüber wollte Jackson Miller beim besten Willen nicht nachdenken. Er hievte sie auf die große Sitzbank neben seinem Einzelsitz und schloss die Beifahrertür.
» Ich bringe dich ins Krankenhaus nach Winnipeg, dort wird dir geholfen, du kleiner Engel. Alles wird gut, versprochen.«
Jackson lächelte sie mit einer Zuneigung an, die ein Fremder nur einem Kind aus Mitgefühl und Rührseligkeit entgegenbringen kann. Er lehnte sie an die Scheibe der Beifahrertür und schob ihr noch ein Kissen in den Nacken.
»Mein Name ist Jack. Versuche ein wenig zu schlafen.«
Er fuhr los, das Getriebe machte seltsame Geräusche, in Gedanken verfluchte er seinen Mechaniker. Zwischendurch schaute er immer wieder zu ihr rüber, nun traute er seinen Augen nicht. Es lenkte ihn so ab, dass er fast das Steuer herumriss.
»Das gibt es doch nicht!«
Hektisch hielt er an. Seine Augen starrten auf ihre linke Gesichtshälfte.
»Was ist das?«
Aus ihrem Auge rann über die Wange zum Hals hin, eine seltsame Flüssigkeit.
»Ist das Gold? Ich glaube, mich tritt ein Pferd.«
Jack überlegte seine Lederhandschuhe auszuziehen, behielt sie aber an und be rührte mit dem Zeigefinger die Goldader.
Gold klebte an der Spitze, er roch daran. Es war aber kein Geruch wahrzunehmen. Er verrieb es zwischen den Fingern und war fasziniert.
Es floss immer mehr aus ihr heraus, nun aus beiden Augen. Sodass der Sitz und der Fußraum mit einem kleinen Bach aus Goldstaub benetzt waren. Das Mädchen veränderte sich, er traute seinen eigenen Augen nicht.
»Nein, oh mein Gott!«
Sekunden später lag auf der Sitzbank ein kleines Baby. Jackson berührte es vorsichtig - zaghaft. Die Haut glänzte goldig und war vom herunterlaufenden Gold aus den Augen bekleckert. Ihre Kleidung war teilweise heruntergefallen und umhüllte sie zum Teil. Er hob den zarten Haufen hoch und blickte in tote, aber wieder menschliche Augen. Das Mädchen, das Baby war tot, es atmete nicht mehr. Er schüttelte wild den Kopf, er verstand es nicht.
» In was für eine
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