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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sie kam. Sie klopfte, zögerlich erst, dann lauter, aber nichts rührte sich drinnen.
    Ob Madame ausgegangen war? Oder ob sie noch schlief? Sie hatte die vergangenen zwei Tage nicht sehr gut ausgesehen. Ihre Augen waren gerötet, und ihre Hände, die sonst so gewandt Stoffe drapierten, zuschnitten und absteckten, hatten gezittert. Sie hatte tatsächlich eine Kundin gepiekt. Das war ihres Wissens noch nie vorgekommen.
    Vielleicht war sie krank. Das Frühlingsfieber war im Augenblick weit verbreitet.
    Etwas unsicher kramte Nona den Schlüssel aus ihrer Tasche. Madame Ariane hatte ihr diesen und auch den für die Hintertür anvertraut, damit sie jederzeit zu ihrer Arbeit kommen konnte, aber bisher hatte sie ihn noch nie benötigt.
    Als die Tür aufgesperrt war, trat sie in den Empfangsraum. Hier war alles wie üblich, aber der Anprobenraum sah unaufgeräumt
aus. Stoffschnipsel, Fäden, hier und da eine Stecknadel lagen auf dem Boden, eine ganze Stoffbahn ergoss sich über den Sessel.War Bette denn nicht gekommen, um sauber zu machen? Sie kehrte gewöhnlich den Teppich jeden Morgen, damit es für die Kundinnen immer adrett aussah.
    Hier stimmte irgendetwas nicht.
    »Madame Ariane?«, rief sie leise. »Madame Ariane!«
    Niemand antwortete.
    Die Tür zum Nähzimmer war nur angelehnt. Auch hier ein Bild der Unordnung. Die Nähmaschine, sonst immer ordentlich unter ihrer Haube verstaut, stand offen da, ein angefangener Rock hing nachlässig über dem Stuhl. Die Schlafzimmertür war geschlossen.
    Es sah aus, als sei Madame in großer Eile aufgebrochen, womöglich schon gestern Abend, und hatte vergessen, dass sie ja morgens Bette öffnen musste.
    Oder ihr war etwas zugestoßen.
    Nona drehte sich entschlossen um und lief die Treppe zur Küche hinunter. Auch hier keine Spur von Madame. Der Herd war kalt, der Wassereimer leer.
    Also blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste ins Schlafzimmer schauen.
    Auch hier klopfte sie erst zaghaft, dann lauter und öffnete schließlich die Tür.
    »Mère de Dieu!«
    Madame lag in zusammengeknäulten Laken, völlig regungslos. Das Plumeau war zu Boden gerutscht, ein Wasserbecher umgekippt.
    Vorsichtig trat Nona näher und fühlte nach der Stirn der Schlafenden.
    Heiß und trocken. Hohes Fieber.
    Man musste Madame helfen.Aber wie? Ein wenig ratlos stand sie vor dem Bett, dann zog sie erst einmal die Laken gerade und legte die Bettdecke wieder über sie.
    Madame stöhnte leise.

    Und draußen ging die Türglocke. Bestimmt eine Kundin. Zweifelnd sah Nona zu der Kranken. Nein, hier konnte sie im Augenblick nichts tun, erst einmal höflich die Dame fortschicken.
    Die aber ließ sich nicht so ohne Weiteres abwimmeln, also nahm sich Nona zusammen und steckte ihr das Kleid ab, das glücklicherweise fast fertig auf dem Bügel im Nähzimmer hing.
    Dabei kam ihr die rettende Idee.
    Viola. Sie würde Viola aufsuchen und sie bitten, ihr zu helfen. Viola war ein bisschen ihre Freundin geworden. Außerdem war Monsieur Leander Madames Bruder. Er würde bestimmt wissen, was zu tun war.
     
    Zwei Stunden später standen die beiden an Madames Bett und versuchten, sie zu wecken.
    »Ariane, Fädchen, wach auf!«
    Er hob sie vorsichtig an, und sie stöhnte leise.
    »Ariane, was ist dir?«
    »Kalt. So kalt.«
    »Mädchen, du hast hohes Fieber.Tut dir etwas weh?«
    »Alles.«
    »Viola, geh in die Küche und bereite einen Tee zu. Nona, kennen Sie einen Arzt, dem man vertrauen kann?«
    »Ich weiß nicht, Madame LouLou bestimmt. Soll ich sie holen?«
    »Das wird wohl das Beste sein.«
    »Kein Arzt. Kann nicht helfen.«
    »Doch, Fädchen. Ganz bestimmt. Doktor Wülfing hat uns früher auch immer geholfen, weißt du noch? Auch wenn seine Medizin immer scheußlich geschmeckt hat.«
    »Hilft nicht. Ist tot.«
    »Wülfing? Woher weißt du das?«
    »Drago.«
    »Bitte?«

    »Er ist tot.«
    Und dann begann Madame zu weinen. So entsetzlich, so schmerzhaft, dass es ihr, Nona, selbst das Herz zusammenzog. Sie lief aus dem Zimmer, um so schnell wie möglich Madame LouLou zu holen.
     
    Der Arzt hatte ein Nervenfieber festgestellt, einige Pülverchen verschrieben und gesagt, dass Madame sorgsamer Pflege bedürfe. Nona hatte sich bereit erklärt, tagsüber bei ihr zu bleiben, Viola und ihr Bruder würden sich nachts um sie kümmern.Vier Tage lang lag Madame Ariane nun schon im Fieberkoma. Was das bedeutete, wusste Nona nur zu gut. Sie versuchte, ihr immer wieder etwas Flüssigkeit einzuflößen, und manchmal sprach die Kranke dann

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