Goldbrokat
Drache war nicht auf den schweren Seidenroben, doch sie waren äußerst sorgfältig bestickt, die seitlichen Verschlusskanten und die Ärmel mit aufwändig gemustertem Goldbrokat eingefasst und innen nochmals mit Seide gefüttert. Das Damengewand schimmerte in Rosenrot und war mit Schmetterlingen und Narzissen bestickt, den unteren Saumumfang hatte man mit einem ganzen Landschaftsgemälde aus Bergen, Bäumen, Bächen und Brücken versehen, die Einfassung der Kanten bestand aus schwarzgrundigem Brokat mit stilisierten Blüten. Ein wahres Prachtstück und Resultat monate-, wenn nicht gar jahrelanger Arbeit. Auf das kürzere Gewand aus schwarzer Seide waren acht kreisrunde Medaillons mit stilisiertenVögeln, vermutlich Phönixe, aufgestickt. Den Saum zierte hier ein blauweißes Wellenmuster.
Ich war wie versunken in diese Schönheit.
»Kannst du so ein Muster auch entwerfen, Mama? Damit Herr Wever auch so schöne Stoffe herstellen kann?«
»So schön wie diese, das wird kaum möglich sein. Sie sind ja auch nicht gewebt, sondern gestickt. Aber wenn Madame Mira es gestattet, dann werde ich einige Skizzen von den Mustern machen.«
»Nur zu, Ariane.Wenn Sie wollen, nehmen Sie die Stoffe mit. Seide ist ja bei Ihnen in guten Händen.«
»Das würde ich zu gerne. Mir juckt es förmlich in den Fingern, an meinen Zeichenblock zu gehen.«
Ich schlug die Kleidungsstücke sorgfältig in ihre Leinenhüllen, wickelte das Ganze in die wasserfeste Ölhaut, in der sie die lange Reise trocken überstanden hatten, und schnürte den Packen
zusammen. Philipp hatte den bedauernswerten Leutnant noch immer in der Mangel, und es schien mir an der Zeit, ihn zu erlösen.
»Philipp, Laura, wäre es für wohlerzogene Kinder jetzt nicht langsam an der Zeit, sich höflich zu verabschieden und die gesetzteren Herrschaften ihrer Unterhaltung zu überlassen?«
»Ja, Mama.«
Artig, aber nicht sehr überzeugt kam es von den beiden.
»Geht zu Hilde und lasst euch mit Kuchen abfüttern. Wo ist übrigens Hannah?«
»In der Leihbücherei.Wir haben gar nichts mehr zu lesen.«
»Na gut. Und jetzt weg mit euch.«
Laura, Philipp und Captain Mio gingen von Bord.
»Mein Sohn kann sehr lästig sein, Herr Leutnant, ich weiß es. Sein Wissensdurst ist unerschöpflich.«
»Sein Wissen ist allerdings beachtlich. Erst elf Jahre alt?«
»Schon fast elf Jahre alt.«
Leutnant Zettler lächelte. Er war ein Herr in den mittleren Jahren. Ein wenig spannte die Uniform um seine Mitte, seine Haare waren nicht nur sonnengebleicht, sondern an den Schläfen schon ergraut, aber sein Gesicht braungebrannt und markant. Er gefiel mir aber vor allem deshalb, weil er sich zuvorkommend um Madame Mira kümmerte.
»Ich habe zwei Töchter, gnädige Frau, und eine davon war erst ein halbes Jahr alt, als ich sie verlassen musste. Ich hoffe, sie hat sich ebenso gut entwickelt wie Ihre Kinder. Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich meine Gattin lange alleine lassen muss und mich nicht besonders um die Erziehung der Kinder kümmern kann. Aber bei Mädchen dürfte der Einfluss des Vaters vermutlich sowieso geringer sein als der der Mutter.«
»Ich habe beide alleine erzogen. Ich hoffe, dass es mir einigermaßen gelungen ist. Aber überzeugt bin ich nicht immer davon.«
Er sah mich ein wenig irritiert an, und Madame Mira sprang ein: »Frau Kusan ist Witwe, Ernst. Schon seit acht Jahren.«
»Oh, verzeihen Sie, Frau Kusan. Kusan? Sagten Sie Kusan? Ich hatte vorhin nicht recht hingehört.«
»Ja, Ariane Kusan ist mein Name.«
»Seltsam. Es ist nicht eben ein Allerweltsname wie Meier oder Schmidt, nicht wahr? Mir ist vor zwei Jahren ein Mann mit dem Namen Kusan in Schanghai begegnet.«
Mein Magen krampfte sich plötzlich zusammen, und ich hoffte, dass man meiner Miene die Überraschung nicht ansehen würde.
»Sie waren in Schanghai?«
»Kurzfristig. Die Briten und Franzosen hatten gerade versucht, in Verhandlungen mit der chinesischen Regierung zu treten – je nun, ein langwieriges diplomatisches Geschäft, mit dem ich Sie nicht langweilen will. Meine bescheidene Rolle darin ist sowieso nicht erwähnenswert. Ich gehörte zum uniformierten Gefolge, mit dem man bei den Beamten Eindruck schinden wollte. Aber Sie müssen wissen, dass sich in Schanghai bereits einige europäische Handelshäuser niedergelassen haben, und so trifft man sich dann in den Settlements.«
»Europäer unter sich bilden ein kleines Dorf?«
»Richtig. Und einer der Dorfbewohner war Teilhaber eines
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