Goldbrokat
einige Worte. Immer wieder ging es um einen Mann, der gestorben war. Einen Drago. Am vierten Abend, sie hatte für Viola und Monsieur einen kalten Imbiss gerichtet, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.
»Wer ist dieser Drago, von dem Madame immer spricht?«
»Ihr Ehemann, Nona. Und wie es aussieht, macht er ihr noch immer Probleme.«
»Aber ich dachte, sie sei Witwe, Monsieur Leander.«
»Nein.« Er zögerte einen Augenblick und drehte dann die Handflächen nach oben. »Es hat ja keinen Zweck, es Ihnen zu verheimlichen. Aber behalten Sie es bitte für sich.«
»’türlisch!«
»Gut, dann hören Sie die ganze Geschichte. Auch du,Viola«, sagte er, als Viola aufstehen wollte.
»Sie wird es vielleicht nicht wollen. Ein delikates Geheimnis …«
»So delikat ist es gar nicht. Es sind die ehrpusseligen Damen, die sich darüber echauffieren würden, nicht unsereins. Hört zu, möglicherweise fällt euch dann etwas ein, wie wir ihr helfen können.«
»Erzählen Sie, Monsieur Leander.«
Er legte Messer und Gabel auf den leeren Teller und begann:
»Meine Schwester und Drago Kusan haben vor gut zehn Jahren geheiratet. Anfangs schien die Ehe auch sehr glücklich zu sein. Zumindest las ich das in ihren Briefen. Ich studierte zu der Zeit schon an der Kunstakademie in Paris. Sie zogen nach Braunschweig, wo Drago in eine Rechtsanwaltskanzlei eintrat. Ariane freute sich über die Geburt der beiden Kinder, aber irgendwann, kurz nachdem Laura zur Welt gekommen war, wurden ihre Briefe immer kürzer. Ich war zu sehr mit meinem eigenen Leben beschäftigt damals, als dass ich dem große Bedeutung beigemessen hätte. Aber dann, im Frühjahr 1852, schrieb sie mir ganz nüchtern, Drago sei nach China gereist. Ich konnte das gar nicht fassen. Ich meine, man bricht ja nicht so von heute auf morgen in ein derart fremdes Land auf. Aber als ich nach dem Grund fragte, antwortete sie mir nur sehr ausweichend. Er habe eine Erbschaft gemacht. Sie wolle ihren Haushalt auflösen und wieder auf das Gut unserer Eltern zurückkehren. Die aber hatten in der Zwischenzeit ihren Besitz verloren und waren im Begriff, ebenfalls nach Paris zu gehen. Darum ist sie zu unserer tugendsamen Tante Caro gezogen, der gegenüber sie sich wohlweislich als Witwe ausgewiesen hat.«
»Er hat sie sitzen lassen?«
»So sieht es aus.«
»Er war kein guter Mann, Monsieur, wenn er sie und Laura und Philipp einfach verlassen hat.«
»Ich weiß nicht, Nona. Ariane mag Ihnen gegenüber immer freundlich und nett sein, aber sie kann eine wahre Tigerin werden, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Und Drago war wirklich kein sanftes Lamm. Ich vermute, die beiden haben einige heftige Kämpfe miteinander ausgefochten.«
»Du hast ihn also kennengelernt, Leander? War er gewalttätig? Hat er sie misshandelt?«
»Drago? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber mit Worten verletzt, das wäre möglich. Doch in einem Wortgefecht mit Ariane gibt es nicht nur ein Opfer, glaub mir.«
»Sie hat ihn acht Jahre nicht gesehen, und sie grämt sich noch
immer um ihn?« Nona hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und nippte nachdenklich an ihrer Tasse. Liebe zwischen Männern und Frauen war ihr fremd. Sie hatte sie selbst noch nie erfahren, und auch noch kein Paar kennengelernt, das darauf sein Leben begründet hatte. Aber vielleicht gab es das, von dem die romantischen Lieder sangen, die Melisande gelegentlich vortrug und die die Damen im Publikum zu Tränen rührten.
»Ja, mir scheint, sie grämt sich noch um ihn. Meine Damen, Drago Kusan war ein Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen. Ein Draufgänger, ein Lebenskünstler, ein unrettbarer Optimist.« Er lachte kurz auf. »Ich bewunderte ihn ebenfalls.Wollt ihr wissen, wie ich ihn kennengelernt habe?«
Viola stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen und forderte ihn auf, seine Schandtaten zu gestehen.
»Schandtaten, o ja. Ich war ein junger, heißblütiger Bursche, und bei einem Zug durch die Kneipen von Münster stachelten meine Freunde mich auf, mich endlich meiner Jungfernschaft zu entledigen.«
Viola zog eine ihrer schön gewölbten Augenbrauen hoch und meinte trocken: »O lálá!«
»Ja, ja, sie hielten mir mein fortgeschrittenes Alter von einundzwanzig vor, na, und das durfte ich nun wirklich nicht auf mir sitzen lassen. Also begab ich mich im Schutze der Dunkelheit zu der mir von ihnen genannten Straße, wo sich die willigen Mädchen angeblich nur so um mich reißen würden. Es dauerte auch nicht lange,
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