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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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der Geheimrat.
    »O doch, Herr Vater, Sie haben. Nicht nur mich, sondern auch zwei Enkel und diesen Großneffen hier, George Liu. Servatius’
Sohn. Ich bitte Sie noch einmal, uns eine kurze Unterredung zu gewähren.«
    Sein Vater nahm eine ungesunde Gesichtsfarbe an, die sich noch weiter vertiefte, als sein Kollege ihn freundlich aufforderte: »Gehen Sie nur, Kusan. Eulenburg wird sich sowieso verspäten.«
    So gedrängt stakste der Geheimrat zu seinem Amtszimmer, und Drago, der George einen kurzen Wink gegeben hatte, ihm zu folgen, trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    »Ich sage es noch einmal, ich habe keinen Sohn mehr. Und damit ist die Unterredung beendet.«
    »Das ist sie nicht, denn ein Mindestmaß an Höflichkeit sollte es Ihnen gebieten, sich wenigstens anzuhören, was ich Ihnen sagen möchte. Es hat Missverständnisse und böse Worte zwischen uns gegeben, und von meiner Seite aus möchte ich um Entschuldigung dafür bitten.«
    »Du kannst nichts ungeschehen machen. Du hast dich meinem Willen widersetzt. Du bist hinter Servatius hergelaufen, und nun bringst du mir auch noch diesen Halbblutbengel an. Wenn du Geld schnorren willst für den Bastard dieses Herumtreibers, bist du an der falschen Stelle. Und du kannst deinem ungesitteten Weib auch gleich ausrichten, dass sie mit ihren Betteleien aufhören soll. Nichts bekommt ihr von mir. Keinen Pfennig. Sieh zu, dass du deine Brut selbst durchbringst.«
    »Das Letzte, was ich von Ihnen verlangen würde, ist Geld, Herr Vater. Meine Geschäfte gehen blendend.«
    »Opiumhandel mit ungewaschenen Chinesen, pah!«
    »Wie gut Sie mich und mein Geschäftsgebaren kennen, Herr Vater. Und wie genauestens Sie über die Körperhygiene der Chinesen informiert sind. Ich bin überrascht.«
    Der Geheimrat schnaubte vor Zorn, dann stelzte er zur Tür, riss sie auf und sagte nur: »Raus!«
    Drago verbeugte sich auf chinesische Weise. Eine tiefe Verneigung, wie es der unwürdige Sohn vor dem ehrwürdigen Vater tun würde. George tat es ihm gleich, dann verließen sie schweigend den Raum.

    »Komm, George, wir wollen schauen, ob die Delegationsabgeordneten uns freundlicher gesonnen sind.«
    Sie waren es selbstverständlich, und Drago wurde gebeten, noch an einigen weiteren Tagen den Attachés und Vertretern des Zollvereins mit seinem Wissen zur Verfügung zu stehen. Man tauschte eifrig Adressen und Empfehlungsschreiben aus. Und Drago versprach, die Teilhaber seines Handelshauses umgehend über die Expedition zu informieren und sie zu bitten, sollten sie vor ihm in China eintreffen, sie gastfreundlich aufzunehmen und ihnen jede Unterstützung zuteilwerden zu lassen. Seinen Vater, der mit säuerlicher Miene den Besprechungen beiwohnte, sprach er nicht mehr an.
     
    Eine Woche später saßen er und George wieder im Zug nach Braunschweig, und in der Abgeschiedenheit des Coupés wagte George erstmals eine Frage zu stellen.
    »Ihr Herr Vater – warum war er so böse, Cousin Drago?«
    »Weil ich ihm nicht gehorcht habe, als ich jung war.«
    Lange schaute der junge Mann anschließend aus dem Fenster, und Drago begann, sich den einen oder anderen Gedanken zu machen. Der Junge war in einer Kultur aufgewachsen, in der das Alter von großer Bedeutung war. Die Alten galten als verehrungswürdig, denn mit dem Alter kam die Weisheit. Kindern wurden strenge Höflichkeitsgesten und Floskeln gegenüber den Älteren beigebracht. Andererseits war er sich sicher, dass es auch verbitterte, tyrannische, trottelige oder selbstsüchtige Alte unter den Chinesen gab. Wie weit offene Rebellion und Widersetzlichkeit, so wie er sie betrieben hatte, jedoch üblich war, vermochte er nicht zu beurteilen. So weit war er in die asiatische Mentalität noch nicht eingedrungen.
    Familienbande jedoch waren eng, warum sonst hatte George sich ihm so sehr angeschlossen? Nicht dass er lästig war, das war er niemals. Er forderte nichts, sondern war eben einfach immer da, bereit, ihm zur Hand zu gehen, wenn nötig, oder sich schweigend unsichtbar zu machen, wenn er nicht gebraucht
wurde. Wie mochte Servatius mit ihm umgegangen sein, fragte er sich. Immerhin war er ihm fünfzehn Jahre lang ein Vater gewesen.
    Ihm selbst war Servatius auch mehr Vater als sein leiblicher gewesen, erinnerte er sich plötzlich. Und genau wie ihn mochte er auch seinen Sohn behandelt haben. Ein wenig rau, herrisch, manchmal sogar zu hart, wenn er an die anstrengenden Wanderungen, diverse sehr kalte Seen, klamme Nachtwachen und ähnliche

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