Goldbrokat
langweilte Charnay zumeist, aber jetzt überwand er sich und richtete das Wort an die Damen.
»Köln ist eine kunstbeflissene Stadt, muss ich feststellen. Selten trifft man so viele Liebhaber und Talente wie in dem Salon Ihrer Frau Schwester, Madame.«
»Ja, Herr de Charnay. Und unsere liebe Helene selbst ist auch eine große Schriftstellerin«, gackerte das dümmliche Huhn dazwischen.
Die Edle hatte den Anstand, bescheiden den Kopf zu schütteln, aber er nahm das Thema auf.
»Wir kommen doch sicher heute Abend noch in den Genuss eines Ihrer Werke, Frau von Schnorr?«
»Nein, nein, meine Gedichtchen wollen diesmal brav zwischen ihren Buchdeckeln bleiben. Dieser Abend ist der Polyhymnia, nicht der Euterpe gewidmet.« Sie kicherte mädchenhaft. »Die Muse der Poesie tritt hinter der Muse der Sangeskunst zurück.«
»Sie scheinen mir eine hochgebildete Dame zu sein. Ich bin ein schlichter Seidenzüchter und verlasse mich lediglich darauf, dass mein Ohr sich im gebotenen Wohlklang badet.«
»Wie originell formuliert, lieber Herr Charnay!«
»Und mein Auge ergötzt sich ebenso gerne an wohlgefälligen Formen.«
Das verstand die Edle nicht und das Schlachtross falsch.
»Da hätten Sie im Mai hier sein sollen, Herr de Scharnier«, dröhnte sie. »Da hat der Neffe von unserer lieben Elenz seine Bilder ausgestellt. Ziemlich buntes Zeug, aber hübsch gerahmt.«
»Sie haben ebenfalls einen Künstler in der Familie, liebe Frau Elenz?«
Eine kleine Ahnung beschlich ihn.Vielleicht war die Bekanntschaft mit dem glucksenden Huhn doch nicht ganz nutzlos.
»Ach ja, mein Neffe, Leander Werhahn, hat uns einige Wochen lang besucht, und ein Bekannter hat eine kleine Ausstellung für ihn organisiert.«
Bevor Charnay diese hoch willkommene Nachricht weiter verfolgen konnte, wurde ein neues Musikstück angekündigt. Ein Tenor von metallischem Timbre schmetterte eine italienische Arie nach der anderen und heimste eifrigst Ovationen ein. Während der Gesangesvorführung überlegte Charnay, wie er die Gelegenheit so günstig wie möglich nutzen konnte.Wenn die Elenz eine Tante der Werhahns war, dann musste sie auch Kontakt zu der Witwe Kusan haben. Also war zunächst Vorsicht angebracht. Doch die Edle war Komplimenten zugänglich und eine enge Vertraute der Elenz, also würde er von ihr durch vorsichtige Befragung die wichtigsten Informationen erhalten.
Nach dem Arienfeuerwerk wurde darauf hingewiesen, dass im Nebenraum Erfrischungen serviert waren. Mit einiger Gewandtheit heftete er sich an die Seite der Edlen und führte sie zu dem Büfett, wo er ihr ihren Teller mit dem in großen Mengen angerichteten Heringssalat – offensichtlich eine Spezialität des Hauses – füllte. Er selbst nahm eine Scheibe trockenen Brotes. Die Zeit für Belohnungen war noch immer nicht gekommen.
»Frau de Groote erwähnte vorhin eine Ausstellung. Das erinnerte mich daran, letzthin einen Artikel gelesen zu haben, in dem die Werke dieses Leander Werhahn recht lobend erwähnt wurden«, begann er das Gespräch, nachdem sie sich einen Platz in einer Fensternische gesichert hatten.Tische und Stühle hatte man nicht aufgestellt, man aß stehend aus der Hand, was die Edle mit ungemeinem Geschick und hoher Geschwindigkeit zu tun verstand. »Haben Sie die Gemälde ebenfalls betrachtet?«
»Ach ja, man muss ja zu derartigen Veranstaltungen erscheinen.
Caro Elenz ist mir eine liebe Freundin, und so habe ich natürlich mein Interesse gezeigt.«
»Er scheint in einem ungewohnten Stil zu malen, klang aus dem Artikel hervor.«
»Ungewohnt, ja. Ich hätte ja gesagt, es ermangele ihm ein wenig an Talent, aber andere, die weit mehr von der bildenden Kunst verstehen als ich schlichtes Dichterlein, behaupten, dass er eine völlig neue Ausdrucksform gefunden habe.«
»Eine neue Zeit gebiert eine neue Kunst, Madame. Alles wird schneller, lauter, gröber. Dampfmaschinen ziehen ratternd unsere Eisenbahnwagons, schnaufen in den Schiffen stromauf, stromab, entlassen ihren Ruß aus hohen Schloten.Wie erwarten Sie, dass ein junger Mensch, ein Künstler, dann malt?«
»Grob, schnell und laut. Wie wahr. Aber wir wollen es der lieben Elenz gegenüber nicht erwähnen. Die Arme hat genug Schwierigkeiten mit ihrer Familie.«
»Die Bedauernswerte, dabei macht sie einen so gutmütigen Eindruck!«
»Sie ist ein Herz von einer Frau. Aber sie hat eine Schlange an ihrem Busen genährt. Eine wahre Schlange, Herr de Charnay, eine wahre Schlange. Stellen Sie sich vor, sie hat vor
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