Goldbrokat
rund wurde, was als ganz besonders gute Spukbedingung galt.
Kurzum, das Geschäft wurde abgeschlossen, und Ferdi zeigte ihnen am Nachmittag noch das gar nicht so weit entfernt liegende alte Gemäuer in der Gasse, die von der Straße zum Eigelstein zum Rhein hinunter führte.
Abends wurde also der Wecker gestellt und unter das Kopfkissen gelegt. Als das hässliche Geräusch um halb zwölf sein Ohr beleidigte, taumelte Philipp schlaftrunken hoch und stellte die Klingel ab. Der Mond stand hoch am Himmel und sandte sein bleiches Licht in den Raum. Es reichte ihm, seine Kleider zu finden und dann Laura im Nebenzimmer zu wecken. Sie war aber bereits aufgestanden und kämpfte mit ihrem Kleid.
»Zieh mal den Rock runter, Philipp, ich krieg’s nicht gerade an!«
»Was musst du auch die ganzen Unterröcke anziehen. Die stören doch nur.«
»Aber ohne kann ich doch nicht gehen.«
Das kam so entrüstet, dass er sich weitere Vorwürfe sparte. Und den Vorschlag, sie solle Hosen von ihm anziehen, schon gar nicht zu machen wagte.
Mädchen eben!
Aber dann war sie doch ganz flink dabei, leise nach unten zu schlüpfen, drehte eigenhändig den Schlüssel in der Hintertür um und dachte sogar daran, von außen wieder abzuschließen, damit niemand einbrechen konnte. Ein bisschen mulmig wurde es ihnen, als sie die Tür in der Hofeinfahrt aufmachten, sie knarrte nämlich scheußlich laut. Aber dann standen sie auf den stillen, menschenleeren Straßen. Durch die Hohe Straße eilten sie Richtung Dom, dort bogen sie in die Marzellenstraße ein und orientierten sich an den Türmen von Sankt Ursula. Näher wäre es am Rhein entlang gewesen, aber die gewaltige Baustelle neben dem Dom, wo der neue Bahnhof entstand, versperrte
den direkten Weg. Trotzdem dauerte es nicht lange, bis sie die kleine Seitenstraße erreicht hatten, in der das Spukhaus stand.
Eine halbverfallene Mauer umgab das Geviert aus einem großen und mehreren kleinen Fachwerkhäuschen. Das hölzerne Tor, das unerlaubten Besuchern den Eintritt in den Hof hätte verwehren können, war schon lange entfernt worden und hatte vermutlich den Weg durch einen Kamin gefunden. Der Firstbalken des großen Hauses war eingesunken, in der Ziegeldecke klafften hier und da Löcher. Den Brunnen mitten im Hof bedeckte eine Steinplatte, und allerlei Rankgewächse kletterten an seiner Umrandung empor.
Lauras Hand stahl sich in Philipps, und er drückte sie fest, um sich und ihr Mut zu machen. Unheimlich war es tatsächlich hier. Ein dunkler Nachtvogel glitt lautlos über die Dächer, dann und wann raschelte es leise in dem Unkraut, das den gesamten Innenbereich überwucherte. Lediglich die kleine Kapelle schien unversehrt, aber sie war auch solide aus Stein gebaut. Aus dem morschen Stall ertönte ein Kratzen, dann ein gellender Schrei.
»Hu!«, stöhnte Laura.
Obwohl ihm selbst auch fast das Herz in die Hose gerutscht wäre, zeigte sich Philipp mannhaft.
»Da, das sind nur zwei Katzen, die sich balgen.«
Die beiden nächtlichen Ungeheuer stoben mit weiterem Kreischen über den Hof und verschwanden über der Mauer.
»Komm, hier draußen wird uns bestimmt kein Geist erscheinen. Wir müssen schon in das Haus da gehen«, sagte Philipp schließlich und zog seine widerstrebende Schwester hinter sich her. »Los, stell dich nicht so an. Du wolltest genau wie ich herkommen. Und außerdem gibt’s doch gar keine Geister, oder?«
Ob Laura von dieser bestechenden Logik überzeugt war oder sich einfach der Schwäche nicht bezichtigen lassen wollte, hinterfragte Philipp nicht. Immerhin kam sie nun willig mit, und sie hoben den Riegel hoch, der die Tür zu dem ihnen von Ferdi benannten Haus verschloss.
Vorsichtig traten sie über die Schwelle und sahen sich um. Festgestampfter Lehm bildete den Boden, eine sehr wackelige Treppe führte nach oben, an der Seitenwand waren noch die Reste eines kleinen Kamins sichtbar, und nach hinten hinaus zwei Fensteröffnungen, die aber zum Schutz gegen Eindringlinge mit Brettern verschlossen waren. Das alles erkannten sie im Licht des Mondes, der durch die Tür hineinschien.
Doch plötzlich wurde es dunkel.
Mit einem »Klapp« fiel die Tür zu, und ein schabendes Geräusch verriet ihnen, dass der Riegel von außen vorgelegt worden war.
»Was war das?«, flüsterte Laura.
»Weiß nicht. Bleib hier stehen.«
Philipp tapste im Dunkeln Richtung Eingang und rüttelte an der Tür.
»Zu. Da hat uns wer einen Streich gespielt, glaub ich.«
»Wer?«
»Ich nehm an,
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