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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Gelassenheit und Heilung zu kommen, betrachtete die heiteren Mönche, und zum ersten Mal, seit er seine Übungen begonnen hatte, strengten sie ihn nicht mehr an.
    Er erlaubte sich daher, auch seine Gedanken zu lenken, ebenfalls eine Fähigkeit, die ihm abhandengekommen war, nun aber allmählich wieder zurückkehrte.
    Ai Ling – so schmerzlich es war, ihr musste er wenigstens jetzt seine Aufmerksamkeit schenken.Vor fast drei Jahren hatte er der Verlockung nicht widerstehen können, die damals achtzehnjährige, überaus liebliche Halbchinesin zu seiner Geliebten zu machen. Sie war eine sanfte, gefällige und manchmal recht phantasievolle Gespielin gewesen, seltsam anspruchslos und doch dankbar für die kleinen Aufmerksamkeiten, die er ihr schenkte – vornehmlich Kleider und Schmuck. Sie hatte seine Sprachkenntnisse erheblich vertieft und ihm anfangs manche Eigenart der chinesischen Kultur zu vermitteln versucht. Aber sich eingehender damit zu befassen, dazu hatte ihm immer die Muße gefehlt. Die Geschäfte zu führen nahm weit mehr Zeit in Anspruch, und Gewinne zu erzielen war eine größere Herausforderung, als sich mit den Eigenarten des fremden Volkes vertraut zu machen. Das mochte sein grundlegender Fehler gewesen sein. Denn auf diese Weise hatte er sie unterschätzt. Sie wusste sehr wohl, wie sie ihn zu gelassenerem Verhalten bewegen konnte. Geschickt führte sie ihn schon nach kurzer Zeit in die Kunst des Opiumrauchens ein. Fasziniert von der Droge freundete er sich mit der angenehmen Wirkung schnell an. Sie schenkte ihm nach den hektischen Stunden des Tages wohlige Entspannung, Wärme, sanfte Euphorie und einen wundersam gesteigerten Lebensgenuss. Vor allem aber schenkte sie ihm Vergessen, befreite ihn für kurze Zeit von den Dämonen der Vergangenheit und weckte dafür das trügerische Gefühl inneren Friedens.
    Er hatte nicht bemerkt, wie ihm die Wirklichkeit langsam
entglitt. Die Geschäfte liefen auch ohne seine beständige Anwesenheit gut, sein Vermögen mehrte sich, sein Haushalt bedurfte keiner großen Aufmerksamkeit. Hier und da eine Warnung eines Europäers vor dem Genuss des Rauchens überhörte er geflissentlich. Die Engländer, mit denen er zumeist verkehrte, soffen wie die Löcher. Dagegen waren zwei, drei Pfeifen süßer Träume harmlos.
    Das wären sie vielleicht auch geblieben, aber Ai Ling musste seinVerderben von langer Hand geplant haben, denn die Mönche hatten ihm erzählt, dass die Vergiftung so hochgradig war, dass sie nur durch die orale Einnahme von Opium hatte eintreten können. Und genau das hatte George Liu ihm auch bestätigt. Ai Ling hatte ihm und sich das Rauschmittel ins Essen gegeben.
    Es war nur der Höhepunkt des schleichenden Prozesses seiner Zerstörung gewesen, und auch wenn er nicht den Tod gefunden hatte, so war das, was er seither durchlebte, möglicherweise schlimmer als der Abschied aus dem Leben. Denn nun war Ai Ling, das süße Klingen der Edelsteine, zu einem weiteren Dämon geworden.
    Er fühlte Traurigkeit, aber nur die. Obwohl sie versucht hatte, ihn zu töten, konnte er keine anderen Gefühle für sie empfinden. Wut, Hass, Liebe oder Leidenschaft waren viel zu anstrengende Emotionen für ihn.
    »Richtet Euch auf, baixi long , und atmet«, mahnte eine sanfte Männerstimme neben ihm.
    Ja, richtig, atmen, das qi lenken, heil werden. Das war seine tägliche Aufgabe geworden. Er erhob sich und wandelte weiter auf dem Weg, den er begonnen hatte, ohne sich Gedanken über das Ziel zu machen, zu dem er ihn führen würde.

Ein gesellschaftlicher Tiefschlag
    Wie wohl ist dem, der dann und wann
Sich etwas Schönes dichten kann.
     
    Wilhelm Busch
    Ich war stolz auf mich. Das Kleid, das da auf der Schneiderpuppe hing, war eine elegante, höchst ausgefallene Kreation, und niemand würde mehr die Herkunft der Stoffe erahnen können.Wir hatten alles sorgfältig gewaschen, gereinigt und aufgebügelt, und dann hatte ich sie so verarbeitet, dass man nur die gut erhaltenen Teile sah. Das Oberteil und der obere Rock bestanden aus dem rosenroten Atlas, den wir aus dem Umhang gerettet hatten. Es reichte etwa bis in Knielänge und hatte einen gebogenen Saum, der mit schwarzer Spitze abgesetzt war. Den bodenlangen Rock darunter hatten wir aus der grauen Kreppseide, die ich bei dem Altkleiderhändler erbeutet hatte, angefertigt. Sie war in einem derart desolaten Zustand gewesen, dass sich Madame Mira zu der Vermutung hatte hinreißen lassen, die Besitzerin habe darin einer Muttersau

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