Goldbrokat
Und doch spürte ich darunter jede Regung.
Er hielt still, ließ zu, dass ich über seine Schultern strich, dann über seinen Rücken. Doch sein Herz schlug schneller unter meiner Wange.
Ich fand den Saum des Hemdes unterhalb seiner Hüften und eine weite, ebenfalle seidige Hose, die seine Beine umhüllte. Meine Hand wanderte fast ohne mein Zutun unter das Oberteil und ruhte nun auf seiner bloßen Haut.
Auch sein Atem ging schneller.
Langsam strich ich über die Wirbelsäule nach oben, und meine Finger erreichten seinen Nacken. Sie tasteten sich weiter vor. Seine Schultern schienen breiter zu sein als früher, aber vielleicht trog mich auch die Erinnerung. Die Haut über seinen
Rippen war zart, doch als ich bei seiner Brust angelangt war, fühlte ich die rauen Locken, die sich dort ringelten. Schwarz, wie die seines Haupthaars, erinnerte ich mich.
Sein Herz schlug noch ein wenig schneller, und meine Finger erlaubten sich, wieder nach unten zu wandern.
Sie wurden gehindert.
Drago bewegte sich schnell, ohne großen Aufwand, aber schon lag das schwarze Hemd auf dem Boden. Hell ergoss sich das Mondlicht über seinen Körper. Ich wollte mich sattsehen an ihm, doch als er sich über mich beugte, schloss ich die Augen.
Seine Hände waren sanft, aber beharrlich. Der Genuss, feine Seide auf warmer Haut zu spüren, schien ihn wenig zu beeindrucken. Mein Nachthemd verließ mich. Ich trauerte ihm nicht nach, denn er liebkoste mich mit unerwarteter Zärtlichkeit. Es schien, als ob sich die ungestüme Leidenschaft früherer Nächte zu einer anderen, größeren Innigkeit gewandelt hatte. Mir flogen Schauder über den Körper, Hitzewellen folgten, ich fühlte Tränen über meine Wangen rinnen und seine Lippen, die sie auffingen. Meine Flechten hatten sich gelöst oder waren gelöst worden, und seine Hände vergruben sich in meinen Haaren. Dann wieder fanden sie Haut, empfindlicher und verletzlicher als je zuvor. Doch sanft war er, sanft blieb er, sanft war sein Mund, seine Zunge. Sanft war auch sein Eindringen, und sanft hoben mich die Wogen höher und höher, bis nur noch ein einziges Gefühl in mir war – vollkommene, bedingungslose Hingabe.
Ich träumte und wachte und schlummerte, geborgen in seinen Armen.
Drago lebte.
Er war zu mir gekommen.
Als sich das graue Tageslicht in das Zimmer schlich und der Regen an die Scheiben schlug, wurde ich wieder wach.
Er war fort.
War er wirklich hier gewesen?
Wie war er ins Haus gekommen?
Mein Blick fiel auf die zerknüllte Seide auf dem Boden.
Ich hatte es nicht geträumt.
Noch einmal schloss ich die Augen und ließ das Geschehen der Nacht passieren.
Wie leicht er mich noch immer verführen konnte, der samthäutige Halunke.
Aber ich bedauerte es nicht.
Nein, wirklich nicht.
In mein ältestes Kleid gehüllt, machte ich mich daran, meine Wohnung in Ordnung zu bringen. Bette hatte sonntags frei, und so brachte ich selbst das Waschwasser vom Vorabend nach draußen, pumpte frisches in die Kannen, räumte die Reste weg, die auf dem Bazar nicht verkauft worden waren, und richtete mir ein Frühstück. Noch einmal ließ ich den großen Kessel mit Wasser heiß werden, denn sonntags war auch der Tag, an dem ich mir die Haare wusch – ein langwieriges Verfahren, vor allem das gründliche Ausspülen und das anschließende Entwirren und Trocknen.
Mit dem Herrgott hatte ich eine Vereinbarung getroffen, dass ich nur noch einmal im Monat und zu hohen Feiertagen die Kirche besuchte. Er schien es mir nicht übel zu nehmen, anders als Pastor Breitling, der mir jedes Mal, wenn er meiner habhaft wurde, vorwarf, ein schlechtes Beispiel für meine Kinder zu sein. Ich gab ihm darauf in schöner Regelmäßigkeit die Antwort, dass ich für das Wohl meiner Kinder in der diesseitigen Welt zu sorgen habe und daher den Sonntag heiligte, indem ich mich ausruhte. Worauf er mit penetranter Hartnäckigkeit mir den einen oder anderen halbsenilen Hammel aus seiner Herde ans Herz legte, der meine weibliche Zuwendung und vor allem Arbeitskraft weit mehr zu schätzen wisse und meinen vaterlosen Kindern dafür gerne sein Heim schenken würde.
Wir würden zu diesem Sujet nie eine Einigung finden, aber auch damit konnte ich leben.
Während meine Haare vor dem Küchenherd trockneten, las ich die Kölnische Zeitung, doch so recht konnte ich mich nicht konzentrieren.
Drago war hier.
Er hatte sich gestern in aller Öffentlichkeit an mich gewandt.
Er hatte mich in der Heimlichkeit geliebt.
Und wenn
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