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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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dir Erfolg zuteil.
     
    I-Ging, Lü – das Auftreten
    Nur mühsam konnte ich den Wunsch unterdrücken, Drago meine Krallen in die Brust zu schlagen, seinen blutenden Kadaver über das Parkett zu schleifen und noch etwas mit den Absätzen meiner Schuhe auf ihm herumzutrampeln, nur um des Genusses der Erniedrigung willen.
    Einzig Helenens vollkommene Vernichtung hinderte mich daran, ihn in aller Öffentlichkeit zu zerfleischen. Sie tat mir fast leid, denn augenblicklich setzte ein mörderisches Getuschel ein. Ich wandte mich also vornehm ab und räumte ein paar Seidenbeutel weiter nach vorne, arrangierte den Blumenschmuck auf dem Tisch neu und lächelte vorbeischlendernden Interessenten zu, als sei nicht gerade eben meine Welt in den Grundfesten erschüttert worden. Frau Waldegg nahm die abgebrochene Rose aus meiner Hand und roch an der Blüte.
    »Ein faszinierender Mann, der Herr Kusan. Der Ihre?«
    »Gewesen«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Sie werden Ihre Gründe dafür haben. Hoffentlich sind es gute. Zeigen Sie mir diesen goldbraunen Shawl. Wie ich von meiner Schwiegertochter hörte, entwerfen Sie auch die Muster selbst.«
    Nach einem kurzen Geplauder, auf das ich betrüblich einsilbig
reagierte, löste sich aber der schlimmste Krampf in meiner Brust, und ich konnte wieder gleichmäßig atmen. Wahrscheinlich hätte ich Frau Waldegg dankbar sein sollen, dass sie mich aus meiner Erstarrung geholt hatte, aber sie gab mir keine Chance dazu, sondern lockte einfach weitere Kundinnen an meinen Stand. In der letzten Stunde der Veranstaltung verkaufte ich auf diese Weise fast meinen gesamten Warenbestand und konnte der Kassiererin ein erkleckliches Sümmchen übergeben.
    Um sechs Uhr endlich hatte ich meine restlichen Sachen zusammengepackt. Es war nur noch eine halbe Tasche voll, und ich beschloss, Sitte hin, Sitte her, zu Fuß nach Hause zu gehen. Von Cäcilien zu meinem Atelier war es nicht so weit, und die Bewegung in der kühlen Luft sollte meinen Kopf klären.
    Tat sie aber nicht.
    Ich schloss meine Haustür auf, warf sie mit Schwung hinter mir zu und schloss ab. Die Tasche mit den restlichen Shawls flog in eine Ecke, und schon auf dem Weg zu meinem Schlafzimmer knöpfte ich die Jacke auf und zerrte an den Miederbändern. Nur raus aus dem engen Gefängnis, weg mit dem Drahtgestell an meiner Taille. Mieder, Reifrock und zwei voluminöse Unterröcke, Schuhe, Strumpfbänder und Seidenstrümpfe landeten auf dem Bett, Haarnadeln auf dem Frisiertisch und dem Boden davor. Der weite, weiße Morgenmantel war alles, was ich tragen mochte, und mit schmerzhaften Strichen zerrte ich die Bürste durch meine Haare.
    Dieser verdammte Schurke. Wie konnte er es wagen, einfach auf dem Bazar aufzutauchen und mich anzusprechen. Um seine Brut einzufordern. Das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Seine Brut! Wenn hier irgendwer gebrütet hatte, dann doch wohl ich.
    Gut, dass der Leutnant ein übertriebenes Gerücht gehört hatte, das mochte angehen. Ich hätte die Nachricht von seinem Tod eben einfach nicht glauben dürfen. Nie konnte man sich auf den Halunken verlassen. Nicht einmal auf sein Ableben.Was bildete er sich eigentlich ein? Acht, fast neun Jahre kein Sterbenswörtchen,
keine Frage, wie es seiner Brut geht, ob sie noch leben oder an irgendwelchen Krankheiten gestorben waren, ob ich arm und hungernd mit ihnen in der Gosse betteln musste, ob sie blöd und blind geblieben waren. Und dann taucht er auf. Einfach so. Und unterstellt mir, auf die schiefe Bahn geraten zu sein.
    Die Bürste verfehlte nur knapp das Spiegelglas.
    Um den Mistkerl hatte ich geweint.
    Was für eine Verschwendung von Tränen.
    In Fetzen hätte ich ihn reißen sollen. In kleine, blutige Fetzen. Den Ratten vorwerfen. In einem Misthaufen verscharren. Sein spöttisches Lächeln zerkratzen, seine Finger einzeln brechen, ihm die lügnerische Gurgel zerquetschen.
    Kleine Tigerin. Pah!
    Er sollte mich kennenlernen.
    Tigerin, ja, aber gewiss nicht klein und verschmust.
    Wenn er noch einmal auftauchte, würde es nicht beim Fauchen bleiben.
    Ich sah auf meine Hände, die sich wie Krallen gebogen hatten, und plötzlich öffneten sie sich.
    Wenn er noch einmal auftauchte.
    Ob er noch einmal auftauchte?
    Oder ob er meine Kinder gleich entführte?
    Ich sprang auf und suchte meine Kleider wieder zusammen. Ich musste zu Tante Caro, Laura und Philipp warnen.
    Und dann fielen die Unterröcke plötzlich aus meinen zitternden

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