Goldbrokat
ich ihn richtig einschätzte, dann würde unsere nächste Begegnung wieder vor Publikum stattfinden, wenn er sich sicher war, dass ich mich wieder beruhigt hatte.
Und wie würde ich dann reagieren? In der Nacht war mir wieder bewusst geworden, dass ich von Gleichgültigkeit ihm gegenüber noch weit entfernt war. Er hingegen hatte schon immer, bei aller Leidenschaftlichkeit, gewusst, wie man Distanz wahrte. Also egal, was meine Gefühle mir sagten, ich würde geschäftsmäßig bleiben, wenn möglich sogar versuchen, mich freundlich zu geben. Keine Szenen, keine Vorwürfe, keine Bitterkeit. Und ja nicht die vergangene Nacht erwähnen. Aber um meine Kinder würde ich kämpfen, wenn nötig.
Ich verbot mir streng, mir irgendwelche Szenarien auszumalen, in denen er sie einfach nach China mitnahm oder mir offenbarte, er habe inzwischen eine andere Frau geheiratet, die die Mutterstelle für sie einnehmen wollte. Bei solchen Gedanken stieg mir nur die Galle in die Kehle.
Entschlossen schlug ich die nutzlose Zeitung zu, bürstete noch einmal meine Haare und band sie im Nacken zusammen. Aufstecken würde ich sie später. Um meine Hände zu beschäftigen, überlegte ich, ob ich für die Kinder heute Nachmittag Waffeln backen sollte und welche Spiele wir gemeinsam spielen konnten, denn das trübe Wetter machte unseren üblichen Ausflug zunichte.
Gerade hatte ich Eier und Mehl aus der Speisekammer geholt, als meine Türglocke ertönte.
Ich zuckte zusammen.
So bald schon?
Ja, so bald schon. Drago schätzte keinen Aufschub.
Ich öffnete, und wie erwartet stand er vor der Tür.
»Guten Morgen, Ariane. Ich bin unbewaffnet. Darf ich ungefährdet eintreten?«
»Guten Morgen. Natürlich. Ich habe dich erwartet.«
»Dann hättest du dich aber ein bisschen hübscher machen können.«
»Der Sonntag ist häuslichen Pflichten gewidmet, da ich die Woche über meinen Unterhalt verdiene, Drago. Du musst also mit dem vorliebnehmen, was du vorfindest. Bitte nimm Platz.«
Ich deutete mit einer Handbewegung auf die Chaiselongue im Anprobenraum, der außerhalb meiner Geschäftszeiten als Besuchszimmer diente. Ich konnte nicht umhin festzustellen, dass er sich sehr korrekt gekleidet hatte und leider ausgesprochen gut aussah. Früher hatte er einen schmalen Bart um Kinn und Lippen getragen, jetzt war er glatt rasiert. Seine Haare mochten etwas länger sein als damals und lockten sich unpomadisiert um seinen Kopf. Sein Gesicht war tief gebräunt, und als er lächelte, blitzten seine Zähne weiß auf. Es versetzte mir einen Stich, die kleine Lücke am Original und nicht in Philipps Gesicht zu sehen.
Er blickte sich um, betrachtete nachdenklich den chinesischen Teppich und nickte dann.
»Sieht ansprechend aus, dein Atelier. Aber ich bin nicht gekommen, um hier zu verweilen,Ariane. Ich würde gerne mit dir im Domhotel zu Mittag speisen.«
»Um der Öffentlichkeit was zu demonstrieren?«
Er grinste mich an.
»Was hättest du denn gerne?«
»Ich gelte als Witwe, Drago.«
»Ich weiß. Daher habe ich mich als entfernter Verwandter eingeführt, Cousine.«
»Dann belass es so.«
»Gut.Würdest du mir dennoch die Ehre erweisen, mit mir essen zu gehen?«
»Da du so höflich fragst.« Ich war sogar ganz dankbar dafür,
nicht alleine mit ihm verhandeln zu müssen, in Gesellschaft mussten wir beide Contenance bewahren. »Aber du wirst dich gedulden, bis ich mich entsprechend gekleidet habe.«
»Nur zu. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, gehörst du nicht zu den Trödlerinnen. Ich werde mich in der Zwischenzeit mit diesen Magazinen vergnügen.«
»Modegazetten? Na, wie du möchtest.«
Ich konnte mich aus langer Übung als Schneiderin tatsächlich in sehr kurzer Zeit ankleiden, kaum eine halbe Stunde benötigte ich, und dabei hatte ich sogar noch meine Haare geflochten und zu einem unprätentiösen Knoten im Nacken aufgesteckt. Das blassgrüne Kleid mit dem Chrysanthemenmuster schien mir angemessen, für die Herbstsaison hatte ich mir eine dunkelgrüne Schoßjacke aus Samt dazu angefertigt, hoch geschlossen und ganz schlicht, nur die Säume an Knopfleiste, Kragen und Ärmeln mit demselben Stoff eingefasst, aus dem das Kleid bestand. Eine kleine, grüne Samtkappe rundete das Ensemble ab. Ich wählte ein passendes Retikül und rauschte in den Salon.
Anerkennung blitzte in seiner Miene auf.
»Ein eigener Entwurf?«
»Natürlich.«
»Besser als alles hier drin.« Er warf die »Gazette des Luxus und der Moden« auf das Tischchen. »Madame,
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