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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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konnte er schon immer gut.
    Er schien über ausreichende Mittel zu verfügen, denn Antonia Waldegg hatte mir verraten, dass er ihr eine beträchtliche Spende übergeben hatte.
    Er sah gesund und energisch aus. Was immer für ein Ungemach ihn an den Rand des Todes geführt haben mochte, er hatte es überwunden.
    Er war dreist und frech wie eh und je.
    Und damit ging mir endlich ein Licht auf.
    Leider, leider nämlich kannte er mich auch noch immer ziemlich gut. Er wusste ganz genau, wie er mich auf die Palme bringen konnte. Schiefe Bahn! Seine Brut!
    Jetzt musste ich sogar darüber kichern.
    Geschickter, hinterhältiger Halunke! In aller Öffentlichkeit auf mich zuzukommen und seine Kinder zu fordern. Das war die einzige Möglichkeit für ihn, es mir unmöglich zu machen, eine große Szene zu veranstalten. Er wusste, dass ich vor all den Leuten weder weinen würde noch gewalttätig werden konnte. Und dass ich Zeit brauchte, mich damit abzufinden, dass er doch noch lebte und zurückgekommen war.
    Ich streckte mich und schüttelte meine Haare aus. Nach einem letzten Rundgang durch mein kleines Reich schlüpfte ich unter die Decken. Die Vorhänge ließ ich offen, denn der Mond hatte sich wieder gerundet, und ich liebte sein silbriges Licht. Zwar hatte ich befürchtet, noch lange wachliegen und meinen Gedanken nachhängen zu müssen, aber entweder half der Rotwein oder die Erschöpfung nach der ganzen Aufregung. Auf jeden Fall war ich sehr schnell eingeschlafen.

    Ich träumte.
    Träumte ich?
    Ich träumte, er läge in meinem Bett, so wie früher, an meinen Rücken geschmiegt, einen Arm über mich gelegt, ein Bein über den meinen. Ich träumte von einem feinen Zedernduft, der ihn immer umgab. Ich träumte davon, seinen Atem zu spüren, ruhig, stetig, bedächtig. Ich träumte, ich sei umsponnen von silbernen und goldenen Fäden, geborgen, beschützt, behütet.
    Ich träumte und wollte nicht erwachen.
    Also träumte ich den Traum weiter.
    Und erwachte.
    Sein Atem ging ruhig, stetig, bedächtig. Seinen Arm hatte er über mich gelegt, ein Bein über das meine.
    Er war gekommen in der Nacht, beim Schein des Mondes war er zu mir gekommen. Lautlos und heimlich und unbemerkt.
    Vorsichtig drehte ich mich um und fand mich in einer festen Umarmung. Meine Hand berührte seine Schultern, seinen Arm und fand glatte, warme Seide. Darunter harte Muskeln, einen festen Körper. Langsam öffnete ich die Augen und betrachtete sein Gesicht im Mondlicht, als ich aufblickte. Gelassen, vielleicht ein ganz klein wenig spöttisch. Fragend.
    Ich strich über die schwarze Seide, die sich um seine Brust spannte, und fühlte den Schlag seines Herzens unter meiner Hand. Hart, stetig.
    Zufrieden damit legte ich meinen Kopf an diese Stelle und lauschte dem gleichmäßigen Rhythmus seines Blutes.
    Drago lebte. Er war zu mir gekommen.
    Meinetwegen durfte jetzt die Welt einstürzen.
    Ich schlummerte wieder ein und träumte von silbernen und goldenen Fäden, die sich zu einem hauchzarten Gespinst verwoben, einem Schleier, zart wie Spinnweb, benetzt von feinem Tau, der in funkelnden Perlen an jeder Fadenkreuzung hing. In den Tröpfchen aber spiegelten sich Gesichter. Meine Kinder sah ich und Drago, einen anderen Mann, ihm ähnlich, doch älter, einen jüngeren, der in einem Flammenmeer verschwand.

    Ich erwachte recht plötzlich, vielleicht weil er sich bewegt hatte oder ein Geräusch von draußen erklungen war.
    »Drago?«
    »Ja, kleine Tigerin?«
    »Du hast mir nie von deinem Bruder erzählt.«
    »Nein, das habe ich nicht.«
    Ich wollte ihm sagen, wie sehr es mir leidtat, was geschehen war, aber Worte waren so banal, so schwach, also schwieg ich. Aber meine Hände wollten nicht ruhig bleiben. Seide war mein Beruf. Ich kannte die körnig-bauschige Textur des Chiffons, die elastisch-schmiegsame der Wirkwaren, die griffig-strukturierte des Moiré, liebte den flaumig-zarten Samt, den knusprig-steifen Taft und die geschmeidige Glätte des Satins. Ich hatte Seide auf feste Futterstoffe genäht, damit sie sich faltenlos um die Mieder schmiegte, ich hatte Volants und Rüschen daraus gefertigt, die sich über Unterröcke bauschten, Shawls, die man sich über die Schultern warf, aber nie hatte ich Seide auf bloßer Haut gefühlt – außer der meinen.
    Atlasseide, matt glänzend, hier und da winzige Knötchen. Stoff, der nicht auf einem maschinellen Webstuhl hergestellt worden war, doch schwer und schmiegsam. Er haftete an meinen Fingern und glitt über seine Haut.

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