Goldbrokat
Captain Mio. Mit aufgerichtetem Schwanz näherte er sich dem Eindringling, und Drago beugte sich nieder, um ihm seine Hand zum Beschnuppern zu reichen.
»Alter Pirat, du bist ganz schön gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe.«
Der Pirat warf sich auf den Boden, rollte sich auf den Rücken und schnurrte auffordernd.
»Ich wünschte, ich hätte Zeit, mit dir zu schmusen, aber wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.«
Er setzte sich auf Philipps Bett, Laura kuschelte sich an seine Seite, Captain Mio an die andere, Hannah, noch immer sehr verlegen, und Philipp nahmen auf den Stühlen Platz.
Er sah sie der Reihe nach an und sagte dann: »Es ist etwas sehr Schlimmes passiert, und ich brauche ganz dringend eure Hilfe.«
»Was ist denn passiert?«
Es waren intelligente Kinder, und er war auf ihr Wissen angewiesen. Schonen konnte er sie nicht.
»Eurer Mama hat jemand einen ganz bösen Streich gespielt. Ähnlich dem, den man euch mit dem Spukhaus gespielt hat. Sie wurde heute Vormittag aus ihrer Wohnung gelockt und ist seither verschwunden.«
»Woher wissen Sie das, Papa?«
»Weil ein Mann ihr die Haare abgeschnitten und sie Herrn Wever geschickt hat. Der ist damit zu mir gekommen und hat mir einen Brief gezeigt, in dem er aufgefordert wurde, Lösegeld für eure Mama zu zahlen.«
Lauras Hand schlüpfte in die seine und er drückte sie fest. Das Mädchen war ganz blass und schluckte.
»Ich vermute, dass dieser Mann euch damals in dem Spukhaus gefangen halten wollte, um Geld für euch zu fordern.«
»Das war aber kein Mann, sondern Ferdi, der Kaminfegerjunge.«
»Den Ferdi hat jemand beauftragt, euch die Geschichte zu erzählen, vermute ich. Es muss ein anderer dahintergesteckt haben, denn der Riegel an der Tür war ganz neu.«
»Ja, das stimmt, Papa.«
»So, und jetzt seid bitte ganz ehrlich zu mir. Mit wem habt ihr über eure Vorliebe für Gespenstergeschichten gesprochen?«
»In der Schule, Papa, mit allen.«
»Und Franz und Marie und Trin und Max. Das sind die Kinder im Hof.«
»Mit welchen Erwachsenen?«
»Nur mit Mama und Madame Mira.«
»Nie mit einem fremden Mann?«
Beide schüttelten die Köpfe.
»Seid ihr auch ganz ehrlich, Philipp, Laura? Es geht um eure Mama. Der Mann wird ihr möglicherweise sehr wehtun, wenn ich sie nicht rechtzeitig finde.«
Er musste ihnen Angst machen, anders ging es nicht.
»Ja, Papa. Wir haben mit keinem anderen gesprochen. Nur mit Ihnen, im Park.«
»Na gut. Hannah, mit wem haben Sie über die Kinder und ihre Neigung zu Spukgeschichten geredet?«
»Mit niemand, Herr Kusan. Oder besser, nur mit meiner Freundin Ruth.«
»Wer ist diese Ruth?«
»Sie ist Kindermädchen bei Schmitzens. Die haben ein Hutgeschäft in der Hohen Straße.«
»Hat Ruth einen Freund?«
»Ja, einen Unteroffizier von den Artilleristen. Jakob Würseling.«
Laura neben ihm zappelte, und er wandte sich ihr zu.
»Was ist dir eingefallen, meine Tochter?«
»Ähm...« Offensichtlich freute Laura die Anrede, sie wurde etwas ruhiger. »Hannah geht doch immer in die Leihbücherei. Und da sind auch andere Leute.Vielleicht hat da jemand gesehen, dass sie Gespenstergeschichten für uns ausleiht.«
»Sehr gut. Hannah, ist Ihnen in der Leihbücherei oder in einer Buchhandlung jemand aufgefallen, der sich für Ihre Auswahl interessiert hat? Möglicherweise ein hochgewachsener, sehr hagerer Herr mit sandfarbenem, vielleicht auch graumeliertem Haar, dessen linke Wange gelegentlich zuckt?«
Er sah Hannah an, dass sie angestrengt überlegte. Aber seine Gedanken gingen noch weiter. Natürlich, die Büchereien waren ein guter Ort, um sich zu informieren, aber dazu musste Charnay erst einmal herausgefunden haben, dass seine Kinder kleine Leseratten waren. Das ließ auf weitere Beobachtungen aus dem engsten Kreis schließen.
»Könnte Hilde – so heißt der Hausdrachen doch, der mich eben so angefaucht hat – einen Freund haben, dem sie von euch erzählt?«
»Weiß nicht!«, meine Philipp nachdenklich. »Sie schwatzt nicht viel, glaube ich.«
»Nein«, sagte auch Hannah. »Sie ist eine gute Seele und würde nie über ihre Herrschaft tratschen. Auch wenn sie ein bisschen barsch sein kann.«
»Papa, wie heißt der Mann denn, der Mama eingesperrt hat?«
»Er nennt sich Guillaume de Charnay und ist ein französischer Seidenhändler.«
»Der Zappelphilipp?«, quietschte Laura auf. »Monsieur Salonplein?«
Vollkommen verblüfft sah Drago seine Tochter an.
»Woher kennst du ihn,
Weitere Kostenlose Bücher