Goldbrokat
Laura?«
»Von Madame Mira und dem Grabstein in Münster.«
»Erzähl.«
»Als wir zu Onkel Ernsts Geburtstag in Münster waren, hat Mama mit uns den Friedhof besucht. Wegen den Verwandten. Und da hat sie die Schwester von dem Zappelphilipp gesucht. Den Namen hab ich aber vergessen.«
Ariane wusste also, dass Charnay früher Wilhelm Stubenvoll hieß. Interessant. Aber sie korrespondierte ja auch mit Dufour. Und das machte vermutlich die Angelegenheit für sie noch weit gefährlicher.
»Was hat euch Madame Mira über ihn erzählt?«
»Dass er ein lästiger Junge war und immer gezappelt hat und deshalb zu einem Seidenhändler in Liohne geschickt wurde, wo er nur Wasser und Brot und Prügel bekam.«
Himmel!
Madame Mira – Ariane hatte die alte Schneiderin kurz erwähnt, die ihr das Nähen beigebracht hatte. Er musste sie sprechen.
»Hannah, Madame Mira wohnt doch noch hier im Haus?«
»Ja, Herr Kusan.«
»Gehen Sie bitte zu ihr und bitten Sie sie, mir einige Fragen zu beantworten.«
»Sie ist aber wahrscheinlich schon zu Bett gegangen. Es ist bereits halb zehn, Herr Kusan.«
»Trotzdem. Dann wecken Sie sie. Hannah, es geht um Arianes Leben.«
»Ja, ja... Ja, ich geh ja schon.«
»Ich komm mit, Hannah.«
Laura rutschte vom Bett und schloss sich ihr an. Philipp und Drago sahen einander an.
»Ist sie in großer Gefahr, Papa?«
»Ja, mein Sohn. In großer.«
»Ich habe Angst.«
»Ich auch. Und darum müssen wir so schnell wie möglich herausfinden, wo dieser verdammte Raupenzüchter sie versteckt hält. Und wenn du irgendetwas weißt, Philipp, das du vor den Damen nicht sagen wolltest, dann verrate es mir jetzt.«
»Ich weiß nicht, Papa. Was ist mit Herrn Wever? Er und Mama...«
»Schon gut, darum kümmere ich mich später. Herr Wever muss sich im Augenblick um seine Schwester kümmern.« Das war ein Euphemismus, aber mit LouLous Tod wollte er die Kinder nicht auch noch belasten.
»Wieso hat der Mann uns entführt? Mama hat doch gar kein Geld.«
Kindermund tut Wahrheit kund. Bittere.
»Ich glaube, sie wäre zu Herrn Wever gegangen, damit er für euch bezahlt.«
Philipp nickte. Und dann klang seine Stimme sehr bang: »Wieso hat er ihr die Haare abgeschnitten?«
»Damit wir wirklich glauben, dass er sie in seiner Gewalt hat.«
»Wird er ihr... ich meine...«
»Ich werde alles tun, es zu verhindern, Philipp.«
Er stand auf, kniete dann vor seinem Sohn nieder und nahm seine Hände in die seinen. Der Junge war den Tränen nahe, unterdrückte das Schluchzen aber tapfer.
»Wir hören uns an, was Madame Mira zu sagen hat. Dann sehen wir vielleicht klarer.«
»Ja, Papa.«
Hannah erschien in der Tür und sagte: »Madame Mira bittet Sie zu kommen.«
»Na dann. Komm, Junge.«
Er fand die alte Dame aufrecht in ihrem Bett sitzen, eine weiche Nachthaube umrahmte ihr faltenreiches Gesicht, doch ihre Augen hinter dem Zwicker musterten ihn lebhaft. Laura saß neben ihr auf der Bettkante.
»Soso. Der verschollene Gemahl selig«, begrüßte sie ihn. »Es ist nicht meine Angewohnheit, irgendwelche Abenteurer in
meinem Schlafzimmer zu empfangen, aber wie es scheint, liegt eine außergewöhnliche Situation vor.«
»Es ist durchaus meine Angewohnheit, charmante Damen in ihren Schlafzimmern aufzusuchen, aber Sie haben völlig recht, Madame Mira, dies ist ein sehr ungewöhnlicher Anlass.«
»Dacht ich mir doch, dass Sie ein Schlingel sind. Was erzählt mir das aufgelöste Küken von Hannah hier über Arianes Verschwinden?«
»Ein Mann, der heute einen französischen Namen führt, früher aber Wilhelm Stubenvoll hieß, hat sie aus Geldgier und vermutlich auch Rachsucht entführt. Ich vermute, dass er seit einiger Zeit in Köln weilt, und will unbedingt herausfinden, wo er sich aufhalten könnte.«
»In jedem beliebigen Hotel, junger Mann.«
»Möglicherweise. Aber er steckt in einem finanziellen Engpass, und lange Hotelaufenthalte sind teuer. Sie haben, so sagen meine Kinder, ihn früher gekannt. Hat er noch Angehörige in Köln?«
Die alte Dame blinzelte und überlegte. Dann sagte sie: »Es ist lange her. Ich war Mitte zwanzig, als ich ihn kennengelernt hatte. Ein unangenehmer Junge. Sein Vater stellte Seidenstoffe her, ich war Couturière, das war unsere Verbindung. Damals hatten sie noch eine Manufaktur und bewohnten ein großes Haus in der Breiten Straße. Dann, so um 1810 herum, wurde die französische Konkurrenz zu groß, die Manufaktur ging pleite. Jetzt rechnen Sie nicht nach, wie alt ich
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