Goldbrokat
Liebe und künstlerische Neigung erwiderte, und so wurde er zum Landedelmann. Leander ist drei Jahre älter als ich, und wir wuchsen zwischen Pferdeställen, Ölfarben, Getreidescheunen und Klavierkonzerten auf. Als unkonventionell könnte man unsere Jugend beschreiben. Und niemand hat es mir verwehrt, einer Stute beim Fohlen zuzusehen, oder dem Hengst beim Decken.«
»Warum um alles in der Welt bist du dann nach Köln gekommen, um dich dieser scheinheiligen Clique anzuschließen, Ariane? Du hättest zu deinen Eltern zurückgehen sollen.«
»Nein, das war nicht mehr möglich. Mein Vater hat eine gute Hand, wenn es um seine Gemälde geht, für Geld lässt er sie jedoch vermissen. Anfang der Fünfzigerjahre, du erinnerst dich vielleicht, gab es einige aufeinanderfolgende verregnete Sommer, in denen die Ernten sehr mager ausfielen. Da wurde das Geld bei uns schon knapp. Dann brannte die Getreidescheune ab, und um überhaupt wieder flüssig zu werden, hat er einige seiner Pferde verkaufen müssen. Leider handelte er sich dabei einen faulen Wechsel ein. Kurzum, er war pleite, das Gut wurde versteigert, und mit dem restlichen Erlös sind meine Mutter und er nach Paris gegangen, um dort ein Künstlerleben zu führen. Es geht ihnen nicht schlecht, meine Mutter gibt Klavierunterricht, mein Vater verkauft hin und wieder ein Gemälde. Sie lieben es, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben, aber mich und meine beiden Kinder können sie nicht mit durchfüttern. Tante Caro lebte damals in behaglichem Wohlstand und bot mir an, zu ihr zu ziehen.« Ich seufzte leise bei der Erinnerung. »Ich war in den
ersten Jahren viel zu – verstört? -, um mir ernsthafte Gedanken über die Folgen zu machen. Philipp war zwei, Laura ein Jahr alt, als ich bei ihr einzog. Ich verbrachte meine Tage fast ausschließlich damit, mich um sie zu kümmern, und es störte mich nicht, dass ich als junge Witwe auch gar nicht in Gesellschaft hätte gehen dürfen. Als es nach Tante Caros Ansicht wieder schicklich war, machte sie mich mit ihren Kreisen bekannt.«
»In die du jetzt erst einmal nicht mehr zurückkehren kannst. Das ist dir sicher klar.«
»Natürlich. Es wird einige Zeit dauern, bis Gras über die Sache gewachsen ist oder ein anderer Skandal größere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Irgendwann werde ich wieder in Gnaden aufgenommen werden, aber das kann dauern. Und Geld brauche ich jetzt.«
»Dann verdiene es dir, indem du weiter für mich arbeitest. Mir gefällt, was und wie du es tust.«
Diese trockene Bemerkung freute mich heimlich, aber ich blieb auch nüchtern in meiner Einschätzung der Lage.
»Und mir gefällt die Arbeit. Dennoch werden irgendwann Schwierigkeiten auf mich zukommen. Für eine Weile kann ich Tante Caro sicher noch vorspielen, dass ich einige ehrbare Aufträge erhalten habe, und selbst das verursacht ihr regelmäßig Vapeurs. Andererseits möchte sie ihr bequemes Leben nicht aufgeben, also biegt sie sich das, was sie weiß, für ihre Zwecke zurecht und glaubt an den wohltätigen Zweck meiner Arbeit. Aber es wird sich nicht vermeiden lassen, dass es sich herumspricht, dass ich für das sittenlose Theater arbeite.«
»Sie wird es überleben. Aber langfristig solltest du dich mit dem Gedanken anfreunden, von ihr fortzugehen.«
»Laura und Philipp …«
»Lass sie in ihrer und Madame Miras Obhut. Sie sind alt genug und brauchen ihre Gluckenmama nicht mehr.«
Das war einer der Punkte, in dem wir sehr unterschiedlicher Auffassung waren. LouLou stammte aus einer kinderreichen Familie aus dem Bergischen, und alle hatten dort mit jungen Jahren
schon mitarbeiten müssen. Schulbildung war Luxus, jeder Pfennig zählte.
Diese strenge Schule aber hatte ihr gesundes Verhältnis zum Wert der Arbeit geprägt, und dass Geld nicht stinkt, war ihre Maxime. Sie hatte mir einige Vorträge darüber gehalten, die mich nachdenklich gemacht hatten.
Aber solange es irgendwie möglich war, würde ich meine Kinder nicht im Stich lassen. Selbst wenn ich dafür das eine oder andere Zugeständnis würde machen müssen.
Ich befestigte noch eine Atlasschleife am tief ausgeschnittenen Mieder meines Kleides und schüttelte dann die weiten, blaugrün schimmernden Falten des Rocks aus. An diesem Abend würden sich die von LouLou höchstpersönlich eingeladenen Gäste und deren Freunde im »Salon Vaudeville« einfinden. Es waren zu meiner Überraschung nicht die gesellschaftlichen Außenseiter, sondern durchaus ehrbare Bürger, aber jene, die das Leben
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