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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Nachthemden und einige Unterröcke.
    Tante Caro hatte ich nicht gefragt, ob sie zu einer Kleiderspende bereit war. Ihre Wohltätigkeit erstreckte sich auf den Besuch kirchlicher Veranstaltungen, wo sie auf den Bazaren allerlei Krimskrams wie bestickte Pantöffelchen, Federmäppchen, Ziertüchlein oder Pfeifenständer – mochte der wilde Nick wissen, wozu sie den benötigte – erstand.
    Aber seit dem Besuch des Herrn Seidenfabrikanten zwei Tage nach der Premiere war ich wieder in ihrer Gunst gestiegen. Sie witterte einen Kandidaten, da Gernot Wever mit seiner gravitätischen Höflichkeit ihrem Bild von einem distinguierten Gatten entsprach. Sie lag mir prompt damit in den Ohren, was mich üblicherweise sofort zum Igel mit aufgestellten Stacheln werden
ließ. Diesmal aber störte es mich weniger, und an dem Tag vor dem Besuch in der Fabrik nahm ich mir die Zeit, über dieses Phänomen nachzudenken.
    Das erste Mal seit langer Zeit hatte sich ein winzig kleines Gefühl in mir geregt. Kein romantisches, darüber war ich schon lange hinaus. Aber so ein wenig Neugier möglicherweise, ob ich noch in der Lage war, einen Mann zu fesseln, dessen Gegenwart mir ausgesprochen angenehm war. Angenehm, weil er ein ruhiger, anständiger Herr war, der zwar ein wenig steif in seinen Manieren, aber durchaus aufgeschlossen gegenüber unkonventionellem Handeln war. LouLou war nicht gesellschaftsfähig, vor dieser Tatsache konnte man nicht die Augen verschließen. Sie hatte jahrelang als ausgehaltene Frau ihr Geld verdient, was ihn entsetzt haben musste. Dennoch hatte er ihr einen großzügigen Kredit aus seinem eigenen, hart erarbeiteten Vermögen zur Verfügung gestellt. Er hatte an den Darbietungen im »Salon Vaudeville« kein besonderes Vergnügen empfunden, die Leichtherzigkeit der kecken Lieder und Possen lag ihm nicht. Aber genauso wenig hatte er das Konzert im Gürzenich genossen, zu dem er mich und Tante Caro eingeladen hatte. Ich schob es darauf, dass er von Kindheit an hatte arbeiten müssen. Seine Familie hatte in Heimarbeit einen Webstuhl betrieben, und alle, die auch nur einen Faden festhalten konnten, mussten mithelfen. Es kam wohl auch noch hinzu, dass er schon früh die Verantwortung für die sieben jüngeren Geschwister hatte übernehmen müssen, sodass ihm für eine höhere Schulbildung wenig Zeit geblieben war. Was er sich angeeignet hatte, waren eine gründliche technische Ausbildung und kaufmännisches Wissen. Literatur, Musik, Theater, Malerei waren ihm verschlossen geblieben. Aber war das denn so wichtig, sich darin auszukennen? Wenn ich an den vornehmen »Literatur-Circle« um Helenen dachte, dann schienen mir wahrlich ein gesunder Geldverstand und textiles Fachwissen von größerem Wert.
    Sein größter Pluspunkt jedoch war sein Verständnis für die Wissbegier meiner Kinder, und ich war selbst gespannt darauf,
was es in der Weberei zu sehen gab. Arbeitete ich auch gerne und viel mit den Stoffen – wie sie wirklich hergestellt wurden, hatte ich noch nie gesehen. Mein Unbehagen gegenüber Dampfmaschinen musste ich wohl langsam überwinden, wollte ich von meinem Sohn nicht wieder von der Flottenadmiralin zum Smutje degradiert werden, dachte ich mit einem kleinen Lächeln. Und mit einer gewissen Neugier erfüllte mich die Frage, wie er und die Kinder aufeinander wirken würden.Wenn Laura jemanden nicht mochte, konnte sie sehr geziert werden, Philipp hingegen reagierte leicht maulfaul und muffig. Ich achtete die Reaktionen der beiden, denn wie ich selbst aus meiner Jugend wusste, hatte man als Kind einen ausgeprägten Instinkt für Menschen.
     
    Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, schon die Dampferfahrt nach Mülheim versetzte die beiden wieder in prächtige Laune. Tante Caro war ebenfalls in animierter Stimmung und begutachtete höchst aufmerksam die Damen und Herren Mitreisenden, gab kleine, erschreckte Quiekser von sich, als die Maschine das Deck in Vibration versetzte und die Schaufelräder sich zu drehen begannen, und bewunderte dann in höchsten Tönen die Aussicht.
    Am anderen Ufer erwartete Gernot Wever uns bereits mit einem offenen Landauer, und die Fahrt durch den sonnigen Mittag verlief ohne Hindernisse.
    Die Sonne aber verdunkelte sich, als wir uns der Fabrik näherten, denn auf dem hohen Schlot wehte eine schwarze Rußfahne. Es war nicht die einzige, auch am Rheinufer hatten wir schon qualmende Schornsteine gesehen.
    »Die Firma Andreae«, hatte Wever kurz erklärt. »Die Konkurrenz. Leider

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