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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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noch unschlagbar für mich.«
    Immerhin war aber auch sein Werksgebäude ein ansehnlicher Backsteinbau, und Laura wie Philipp, die ich vorsichtshalber an der Hand hielt, zuckten und zappelten wie die jungen Pferde. Doch zuvor war unser Gastgeber so einfühlsam, Tante Caro zu
empfehlen, sich zu seiner Haushälterin führen zu lassen, denn sicher wolle sie sich nicht dem Getöse der Dampfmaschine und dem Staub der Webstühle aussetzen. Sie nickte erleichtert, und wir suchten zunächst das ansehnliche Wohnhaus auf, das neben der Fabrik erbaut worden war. Als die Tante der Obhut der molligen Wirtschafterin anvertraut worden war, begann für uns der aufregende Teil. Der Werkmeister, ein kerniger Rheinländer, übernahm Philipp, der ihn sofort ohne Scheu mit Fragen zu Leistung und Übersetzung, Dampfdruck und Drehmomenten löcherte. Gernot Wever hingegen führte Laura und mich in die hohen, luftigen Säle, in denen die Webstühle standen.
    Wie benommen starrte ich auf die hin- und hersausenden Schütze, die mit ohrenbetäubendem Knallen auf die Anschläge rechts und links von den Rahmen krachten. Eine Unterhaltung war nur schreiend möglich, und so bekam ich nur die Hälfte von dem mit, was Wever uns zu erklären versuchte. Immerhin verstand ich, dass auf dem Kettbaum die Längsfäden des späteren Gewebes gewickelt waren wie auf eine gigantische Garnrolle. Diese Walze wurde oben auf dem Rahmen angebracht und die Fäden unten auf dem Warenbaum eingespannt, auf den später der Stoff aufgewickelt wurde. Die Menge und Länge der Kettfäden bestimmten Stoffbreite und Länge und auch die Farbabfolge. Diese Längsfäden wiederum mussten so bewegt werden, dass sie eine Öffnung, das Fach, bildeten, durch die das Weberschiffchen, das hier Schütz hieß, hindurchflitzen konnte. Bei jedem Durchschuss wurde eine ganz bestimmte Anzahl Kettfäden gehoben, sodass nach und nach ein Webmuster entstand.
    Ich war schlichtweg fasziniert.
    Meine Tochter ebenfalls. Wir schauten uns Webstühle an, die mit mehreren Schäften arbeiteten, die die Fächer öffneten. Auf ihnen wurden mehrfarbige, gestreifte oder karierte Stoffe hergestellt. Die komplizierten Muster der Damaste aber wurden auf den sogenannten Jacquard-Maschinen gewebt, und die – das beeindruckte mich noch viel mehr – arbeiteten mit einer hochkomplizierten Mechanik, bei der das Heben und Senken der
Kettfäden über ein Lochkartenband gesteuert wurde. Hier, in dem Höllenlärm, wollte ich unseren Führer nicht fragen, wie das funktionierte, aber es interessierte mich brennend.
    Halb taub und leicht orientierungslos wankte ich nach einer guten Stunde aus dem Maschinensaal.
    »Mein Gott, wie halten das die Arbeiterinnen nur aus?«, stöhnte ich.
    Gernot Wever hob die Schultern. »Man gewöhnt sich dran. Aber nun kommen Sie, meine Damen, eine bergische Spezialität erwartet Sie. Die Kaffeetafel!«
    Was immer ein Kinderherz – und das einer gefräßigen Mutter nebst Tante – höher schlagen lassen konnte, war aufgetischt!
    Und dann begann die Schwelgerei. Die Wirtschafterin schnitt dicke Scheiben von dem Rosinenstuten ab, die dick mit Butter und Apfelkraut bestrichen, dann mit einer Lage Milchreis bedeckt und mit Zucker und Zimt bestreut wurden. Aus der Dröppelminna, einer bauchigen Kanne, die auf drei hohen Füßchen stand und unten einen Hahn hatte, wurde duftender Kaffee gezapft, was besonders Laura entzückte, die ihre heiße, süße Milch mit Kaffee aromatisieren durfte.
    Allerdings musste ich zu meiner Schande bemerken, dass die Geräuschkulisse kaum weniger ohrenbetäubend war als in der Fabrikhalle. Meine Kinder schnatterten in höchsten Tönen, und Philipp, der gut fünfhundert neue technische Vokabeln aufgeschnappt hatte, warf mit Dampfdruck, Kugellagern, Maßtoleranzen, Ventilsteuerungen und Übertragungsmomenten nur so um sich. Laura hingegen trumpfte mit Zampel und Harnisch, Latzen und Litzen, Schusswippen und Musterkarten auf. Ich sah, dass Tante Caro mit sich rang, ob sie eingreifen sollte, denn über dieses Benehmen ärgerte sie sich wie üblich maßlos. Bevor sie einen scharfen Verweis aussprechen konnte, sagte ich also mit ruhiger Stimme in das aufgeregte Geplapper: »Ruhe an Bord! Ihr klappert genauso laut wie die Webstühle. Ich würde vorschlagen, ihr benutzt jetzt euren Mund für eine Weile zum Essen.«

    »Ja, Mama.«
    Damit trat Stille ein. Ich fand meine Kinder bezaubernd.
    Während wir vom Stuten zu knusprigem Brot mit Käse und Wurst übergingen, konnte

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