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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Stickereien.«
    »Es besteht ein gewisser Unterschied darin, ob man, sagen wir, Tischläufer oder Shawls bestickt oder ob man fortlaufende Muster für Stoffbahnen entwirft, gnädige Frau. Sie müssen beispielsweise wiederholbar sein, sich ohne Brüche aneinanderfügen, sich nach der Stoffbreite und Anzahl der Kettfäden richten und vieles mehr.«
    »Kurzum, man muss rechnen können«, erklärte ich trocken. Das nämlich konnte Tante Caro nicht.
    »So ist es«, stimmte mir Wever ebenso trocken zu.
    Wir unterhielten uns noch ein wenig über Stoffe und Seidenqualitäten, und im Grunde war ich heilfroh, als die gewaltige Mahlzeit ihr Ende gefunden hatte. Tante Caro machte einen so schläfrig gesättigten Eindruck, dass die Haushälterin ihr empfahl, den Verdauungstrunk, einen scharfen Klaren, im Sessel am Fenster zu sich zu nehmen. Ich hingegen nahm das Angebot an, einige Schritte durch den Ort zu machen. Laura und Philipp gingen unaufgefordert der Haushälterin zur Hand.Vermutlich hofften sie auf weitere Genüsse in der Küche.

    Als ob sie bei mir Hunger leiden müssten, die Rabauken.
    Aber gut, ich war ganz froh, eine halbe Stunde mit Gernot Wever unter vier Augen sprechen zu können.
    »Aufgeweckte Kinder sind die beiden, liebe Frau Kusan.«
    »Manchmal ein wenig ungebärdig, ich weiß.Aber mir ist es lieber, sie fragen zu viel, als dass sie stumme Duckmäuser werden.«
    »Sie haben ihren Vater schon früh verloren, nehme ich an.«
    »Sie waren ein und zwei Jahre alt.«
    »Es muss eine schwere Zeit für Sie gewesen sein.«
    »In gewisser Weise. Doch heute ist sie aus anderen Gründen nicht leichter geworden, Herr Wever. Sie haben sicher gehört, dass meine Tante einem Aktienschwindel aufgesessen ist.«
    »Dem Perpetuum mobile etwa?«
    »Leider.«
    »Ein Skandal. Ich hörte davon.«
    Wir wanderten bis zur St. Clemenskirche schweigend weiter, dann versuchte ich einen kleinen Vorstoß.
    »Sie verstehen, dass ich mir eine bezahlte Arbeit suchen muss, Herr Wever, nicht wahr?«
    »Arbeit, meine liebe Frau Kusan, hat noch nie jemandem geschadet. Ich wäre der Letzte, der Ihnen das vorhielte. Louise sagt, dass Sie eine höchst begabte Schneiderin sind.«
    »Ja, ich verstehe mein Geschäft.«
    »Nur ein Geschäft ist es noch nicht. Das wissen Sie auch.«
    Ich seufzte. Nein, das war es bis jetzt noch nicht. Den letzten Schritt musste ich noch machen, und der würde den Bruch mit Tante Caro herbeiführen. Aber deswegen hatte ich die Frage nicht gestellt.
    »Sie sind eine erfrischende Ausnahme unter den Herren meiner Bekanntschaft, Herr Wever.«
    »Tatsächlich? Ich stelle mir vor, dass ich Ihnen als einigermaßen ungalant vorkomme. Gesellschaftlichen Schliff konnte ich mir bisher nicht aneignen.«
    »Galanterien sind Schaumgebäck. Ein Mann, der Kindern seine Fabrik zeigt, hat weit mehr Substanz.«

    Meine kleine Schmeichelei brachte ihn offensichtlich dazu, nach Worten zu suchen. Ich erlaubte mir das Vergnügen, seine Verlegenheit zu vertiefen, und setzte hinzu: »Es wundert mich, dass noch keine junge Dame das erkannt hat, Herr Wever.«
    »Es … vermutlich liegt es an mir, Frau Kusan. Ich habe so wenig Zeit gehabt, mich um … nun ja, um weibliche Bekanntschaften zu kümmern. Aber ich würde mich freuen, wenn mir zukünftig dazu die Gelegenheit geboten würde. Sie, Frau Kusan, sind nämlich eine sehr angenehme Gesellschaft.«
    »Danke, Herr Wever. Ich würde es ebenfalls begrüßen. Zumal ich so eine kleine Idee habe, die uns beide betrifft. Darf ich sie Ihnen unterbreiten?«
    »Sie haben eine Idee?«
    Verdutzt bemerkte ich seine geröteten Wangen. Aha, er war zu gewissen Gedankengängen in der Lage. Schade, dass ich ihn enttäuschen musste.
    »Ja, eine vielleicht ausgefallene Idee. Ich habe nämlich nicht nur eine Begabung im Entwerfen von Kleidern, sondern auch ein recht ansehnliches Zeichentalent. Und rechnen kann ich, im Gegensatz zu meiner Tante, auch recht ordentlich. Was halten Sie davon, wenn ich für Ihre Webmaschine ein neues Muster entwerfe? Welche Anforderungen an gemusterte Stoffe eine Couturière hat, weiß ich, und ich glaube, ich kann abstrakt genug denken, um es in das Raster Ihrer Musterkarten zu übersetzen. Zumindest mit ein wenig Nachhilfe Ihrerseits.«
    Er blieb stehen und sah mich erstaunt an.
    »Sie überraschen mich immer wieder, Frau Kusan.«
    »Womit? Mit meinem Geschäftssinn?«
    »Ja, damit auch. Kommen Sie, wir kehren um.«
    Wir schlenderten schweigend die Hälfte des Weges zurück, dann hatte

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