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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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bildeten sich Falten.
    »Diesmal stimmt es, Nona. Mach mir ein zweites davon.«
    »Ja, Madame.«
    »Und nun hilf mir bei den Häkchen. Das ist der einzige Nachteil, den ich erkennen kann – alleine komme ich in das Ding weder hinein noch wieder heraus.«
    Mit ihren geschickten Fingern öffnete Nona die Verschlüsse am Rücken und bemühte sich, so wenig wie möglich Madames helle Haut zu berühren. Sie war entsetzt, aber auch fasziniert davon, wie wenig Scham Madame kannte. Sie zog sich mitten im Zimmer einfach vollständig aus, ohne sich hinter einem Paravent zu verbergen, und bewegte sich in ihrer Nacktheit vollkommen unbeschwert.
    Und was hatte sie für einen wundervollen Körper! Straff, üppig, beweglich. So ganz anders als ihre weiße, magere Figur mit dem entstellten Bein. Sie hätte gerne mit den Handflächen über den glatten Rücken gestrichen, der sich vermutlich wie die feinste Seide anfühlte. Für einen Moment verweilte sie bei dem Gedanken, und ihre Finger hielten in ihrer Tätigkeit inne.

    Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, erklang Madames warmes Lachen.
    »Du darfst mich berühren, Nona, wenn du willst.«
    Nona zuckte jedoch zusammen und hakte die letzten Verschlüsse auf. Dann packte sie mit gesenktem Kopf ihre Nähutensilien zusammen und vermied jeden Blick auf ihre Arbeitgeberin, die sich nun wieder ankleidete.
    »Du hast gute Arbeit geleistet«, sagte diese schließlich. »Ich habe hier einen hübschen Stoff für dich. Lass dir von Frau Ariane ein Sonntagskleid daraus zuschneiden.«
    »Ich brauche kein Sonntagskleid.«
    »Jede Frau braucht ein Sonntagskleid. Du gehst doch bestimmt in die Kirche.«
    Nona schüttelte den Kopf. Sie hatte sich bisher noch nicht einmal getraut zu fragen, wo in ihrer Nähe eine katholische Messe gelesen wurde. Madame Ariane und die Kinder besuchten den evangelischen Gottesdienst, und Madame Caro Elenz wollte sie sich auf keinen Fall anschließen, das hätte sie als sehr ungehörig empfunden, und Madame Mira ging nicht mehr aus dem Haus, um die Messe zu hören. Ihren schmerzenden Knochen, so hatte sie gesagt, war das Knien zu mühselig. Der Herrgott würde es wohl verstehen, wenn sie ihre Gebete zu Hause sprach.
    Trotz ihrer Aussage, dass sie kein gutes Kleid benötigte, sah sie bewundernd den graublau und dunkelblau karierten Barchent an.
    »Zier dich nicht, Nona. Du hast es dir verdient.«
    »Danke, Madame.«
    Madame legte den Stoffpacken in den Weidenkorb und fragte: »Ist das auch nicht zu schwer für dich?«
    »Nein, Madame. Ich seh nur aus wie dünner Stecken. Ich bin kräftig.«
    »Nun, dann geh nach Hause. Richte Frau Ariane meine Grüße aus.«
    Nona nahm den Korb auf und stieg mit ihrem leichten Hinken die Treppe hinunter. Madame folgte ihr, und an der Haustür
nahm sie sie an den Schultern, beugte sich vor und küsste Nona leicht auf die Stirn.
    Seltsam gerührt wanderte Nona durch die belebte Schildergasse. Noch nie in ihrem Leben war sie so gut behandelt worden wie in den drei Monaten, die sie bei Madame Ariane wohnte. Sie musste sich um nichts kümmern als um ihre Näharbeiten. Man wusch ihre Wäsche, man richtete ihr die Mahlzeiten, wies ihr die Wege, die sie zu gehen hatte, sagte, was sie zu tun hatte, und sprach langsam und verständlich mit ihr. Manchmal fühlte sie sich wie das Kind, das sie nie gewesen war.
    Madame LouLou bewunderte sie grenzenlos. Sie war so voller Energie, so willensstark, so selbstbewusst. Und wenn sie tanzte, dann glich sie einer wilden, wirbelnden Flamme. Oder sie wirkte wie ein farbenprächtiger Schmetterling in ihren schwebenden Chiffonröcken und den Schleiern, die sie dabei um sich herum ausbreitete. Nie wurde sie müde, ihr bei den Proben zuzuschauen, und nie schickte Madame sie fort. Nein, manchmal kam sie verschwitzt und schwer atmend zu ihr, strich ihr über die Haare und fragte, ob es gut genug gewesen sei.
    Es war immer gut genug.
    Aber auch für Madame Ariane empfand Nona tiefe Achtung. Sie war anders als Madame LouLou, kein Schmetterling, eher eine schöne Blüte, eine Rose vielleicht oder eine Lilie. Sie war stark, ganz gewiss, aber selbst mit ihren kurzsichtigen Augen erkannte Nona, dass sie an einem Kreuz zu tragen hatte, an einem Kummer, den sie gut zu verstecken wusste. Heute hatte sie es gewagt, Madame LouLou darauf anzusprechen, und die hatte ihr diesen Eindruck bestätigt.
    »Ich weiß nicht genau, was es ist, Nona, aber ein Mann, der den Namen Kusan trug, hat mir vor einigen Jahren in einer verdammt

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