Goldbrokat
Gernot Wever eine Antwort für mich.
»Ich schlage vor, Sie machen eine Entwurfszeichnung von dem Muster, das Ihnen vorschwebt, und ich prüfe, ob es in die Maschine übersetzbar ist. Es sind eine Reihe technischer Faktoren zu berücksichtigen. Aber wenn es möglich ist, können wir
über die Ausarbeitung sprechen, und dann bin ich gerne bereit, einen Vertrag mit Ihnen über die Nutzung zu machen.«
»Das ist eine angemessene Vorgehensweise, Herr Wever. Ich lasse in den nächsten Tagen von mir hören.«
»Ich hoffe, liebe Frau Kusan, aber doch nicht ausschließlich, um mit mir über Webmuster zu verhandeln.«
Ich klimperte mit den Augenlidern und lächelte ihn an.
»Wir werden sehen, nicht wahr?«
Da hatte ich ja etwas angezettelt!
Und kaum hatte ich das gedacht, fiel mir ein, dass man die Tätigkeit, die Kettfäden dem Muster entsprechend mit den Latzen zu verbinden, ja Anzetteln nannte.
Ah, pah!
Kurzum, den Nachmittag in Mülheim konnten wir alle als einen gelungenen verbuchen.
Aber er war auch anstrengend gewesen, und Tante Caro zog sich früh zurück. Die Kinder verzichteten auf das Abendessen und gingen ohne Murren zu Bett. Als ich kurz darauf in ihr Zimmer schaute, waren sie schon in tiefen Schlaf gesunken. Ich hingegen war aufgewühlt. Darum holte ich mir aus den schwindenden Vorräten im Keller eine staubige Flasche Rotwein und setzte mich mit meinem Glas an das Salonfenster, von dem aus man über die nächtliche Straße schauen konnte. Die Obermarspforte war nur eine Gasse, und selbst in den hellen Abendstunden im Mai spielte sich kaum Leben zwischen den Häusern ab. Es war ruhig, und langsam krochen die Dämmerschatten unter die Giebel. Ich verzichtete darauf, die helle Gaslampe zu entzünden, im Halbdunkel konnte ich meine Gedanken besser ordnen.
Mein behäbiges Leben hatte mit Beginn dieses Jahres eine Wende genommen. Die tugendhafte, wohlsituierte Witwe hatte ihre sittsame Haut abgestreift, und was darunter zum Vorschein kam, war mir manchmal selbst noch fremd. Anderes indessen, so wollte es mir vorkommen, war nur unter einem zu engen Korsett
eingeschnürt gewesen und drängte jetzt wieder zur Freiheit.
Unseligerweise war mein derzeitiges Leben auf einer Lüge aufgebaut. Und dieses Lügengespinst lief nun mehr und mehr Gefahr, zerrissen zu werden.
Wenn das geschah, würde ich schutzlos sein.
Ein Anlass mehr, eine gründliche Veränderung einzuleiten?
Ich nippte an dem Wein und sah dem Heimflug der Schwalben nach, die unter dem First des gegenüberliegenden Hauses ihr Nest angeklebt hatten.
Dank LouLous gut bezahlten Aufträgen hatte ich in den vergangenen drei Monaten nicht weiter an meinem Kapital zehren müssen, sondern, im Gegenteil, sogar noch etwas zur Seite legen können, das mir einen bescheidenen Start in das Geschäftsleben ermöglichte.
Alles in allem waren es drei unterschiedliche Richtungen, die ich einschlagen konnte.
Wenn es mir gelang, über die Anfertigung der Kinderkleider für Paula Engels Hochzeit ein Entree als Couturière der haute volée zu erringen, könnte ich zumindest am Rande der ehrbaren Gesellschaft weiterexistieren. Dasselbe galt für die heute neu aufgekeimte Idee, als Mustergestalterin für Wever zu arbeiten. Dann aber würde ich weiterhin mit meiner Lüge leben müssen.
Wenn es mir nicht gelang, als Schneiderin für die ehrbare Kundschaft zu arbeiten, konnte ich entweder mein Klientel in der Halbwelt suchen, wodurch ich für die vornehme Welt perdu war. Allerdings war damit auch die Geheimnistuerei obsolet. Aber Laura und Philipp würde ich Probleme bereiten, es sei denn, sie blieben, wie LouLou es vorschlug, in Tante Caros Obhut und ich würde so weit wie möglich Abstand zu ihnen halten. Dieses Szenario mochte ich gar nicht gerne weiterspinnen.
Oder ich nahm eine gänzlich andere Möglichkeit wahr, und die hieß Gernot Wever. Er war mir sympathisch, er war ledig, er war vermögend. Es würden unter Umständen ein paar zarte
Winke nötig sein, ihn auf die richtige Fährte zu setzen, aber – nun – es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen Mann zur Ehe verführte.
Ich ließ meinen Gedanken ein wenig frei in diese Richtung laufen. Ja, er war ansehnlich, hochgewachsen, hatte einen kräftigen, sehnigen Körper, der mich nicht abstieß. Es gehörte sich vielleicht nicht, als Frau ein solches Kriterium in die Waagschale zu werfen, aber für mich hatte auch dieser Aspekt einer Ehe eine wesentliche Bedeutung. Eine Erkenntnis, die ich meinem Gatten
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