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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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selig, Schlawiner, der er war, zu verdanken hatte. Dummerweise schien der warme Mai Frühlingsgefühle in mir zu wecken, und ich gestand mir ein, dass ich mich nach Zärtlichkeit sehnte. Nein, nicht nur nach Zärtlichkeit, sondern nach Stärkerem, nach heißem Begehren, nach wilder Lust, nach Händen auf meiner bloßen Haut, nach fordernden Küssen, nach dem Druck fester Muskeln über mir …
    Verdammt, verdammt, verdammt, warum hatte er mir das angetan?
    Es war leider nicht Gernot Wevers Bild, das mir bei dieser wüsten Phantasie vorschwebte.
    Ich stürzte den Rest des Weins hinunter und goss mir ein weiteres Glas ein.
    Verloren, vorbei und selbst verschuldet.
    Ich würde nicht schon wieder um ihn weinen, und obwohl der Tag so vielversprechend verlaufen war, fühlte ich mich jetzt innerlich wie zerrissen. Verstand und Gefühl, Pflicht und Leidenschaft zerrten an mir wie Captain Mios Krallen an meinem Rock.
    Ich nahm den Kater hoch und setzte ihn auf meinen Schoß.
    Schwer war der alte Pirat geworden in den acht Jahren seines Lebens. Als Philipp gerade ein Jahr alt gewesen war, hatte sein Vater ihn angeschleppt und das weiße, schwarz gefleckte Katerchen in seine Wiege gelegt. Ich hatte gezetert und vor Läusen und Flöhen gewarnt, aber Klein Philipp und Klein Mio begannen sofort eine tiefe Welpenfreundschaft, gegen die meine mütterlichen
Warnungen wirkungslos abprallten. Allerdings musste ich zugeben, dass Mio nie zu Klagen Anlass gegeben hatte, was Ungeziefer anbelangte. Er war auch zu den Kindern immer sanft geblieben, mochten sie ihn auch noch so ungeschickt umherschleppen, ihm Schleifen um den Hals oder schwarze Piratenflaggen an den Schwanz binden, nie hatte er sie mehr als mit eingezogenen Krallen geboxt oder sie warnend angefaucht.
    Ich hatte da schon eher mal einen Kratzer abbekommen, aber immer nur, wenn ich mich unlauter in ihre wilden Spiele einmischte.
    Ja, auch dieser pelzige, schnurrende Seelentröster war ein Vermächtnis meines Gatten selig und sicher das beste Vermächtnis an seine Kinder.
    Verdammt, warum musste ich heute so oft an den Lumpenhund denken?

Seidenhaut
    Wie schläfst Du so ruhig und träumest,
Du armer, verlaß’ner Wurm!
Es donnert, die Tropfen fallen,
Die Bäume schüttelt der Sturm!
Dein Vater hat Dich vergessen,
Dich und die Mutter Dein;
Du bist, du armer Waise,
Auf der weiten Erde allein!
     
    Joseph Christian Freiherr von Zedlitz, Mariechen
    »Ariane hütet ein Geheimnis, Nona, und das müssen wir ihr lassen«, sagte Madame LouLou und zog das hautfarbene, eng anliegende Seidentrikot über ihren nackten Körper. »Du hältst dich ja ebenfalls recht bedeckt, was deine Vergangenheit anbelangt.«
    »Isch kann nischt sprechen darüber. Tut mir leid«, murmelte Nona und zupfte an dem elastischen gewirkten Stoff, der sich faltenlos um die prachtvolle Figur von Madame schmiegte.
    Vor einem Monat war eine kleine Akrobatin aus dem »Cirque Napoleon« zu ihnen gestoßen und hatte für drei Wochen ein Engagement gesucht. Sie hatte eine bemerkenswerte Nummer auf einer von der Decke hängenden Schaukel vorgeführt, war dann aber mit ihrem Freund wieder nach Paris zurückgekehrt. Was sie ihnen hinterlassen hatte, war die Idee zu einem Kleidungsstück, das ein junger Artist in ihrem Zirkus bei der Arbeit trug. Jules Leotard übte seine halsbrecherischen Stücke in einem eng anliegenden Anzug, der seine Muskeln deutlich erkennen ließ. Madame LouLou war begeistert von der Vorstellung, bei ihren Tanznummern ein solches Trikot zu tragen, das
weder zwickte noch verrutschte und nachgiebig allen Verrenkungen folgte. Der fein gestrickte Seidenstoff, gleich dem, aus dem die Strümpfe gewirkt waren, eignete sich hervorragend für diesen Zweck, und sie hatte Madame Ariane gebeten, ihr Nona auszuleihen, damit sie die aufwändige Näharbeit übernahm.
    Nona fühlte sich geschmeichelt und hatte Stunden um Stunden damit verbracht, das schwierige Material in Form zu bringen. Weil sie keine Vorlage hatte, musste sie oft Nähte wieder auftrennen, da und dort Stücke einfügen, Ärmel neu ansetzen und Verschlüsse ändern. Jetzt half sie Madame, die vielen Häkchen am Rücken zu schließen, und betrachtete dann bewundernd das Ergebnis. Wie in eine makellos schimmernde Seidenhaut gehüllt stand Madame vor dem hohen Spiegel ihres Schlafzimmers, hob dann langsam die Arme weit über den Kopf, drehte eine Pirouette und sank langsam und geschmeidig in einen Spagat.
    Nichts riss, keine Naht platze, nirgendwo

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