Goldbrokat
aufsteigen und in der Abendsonne taumelnd seinen Weg nehmen.
Lachen spülte in ihm hoch, reines, befreites Lachen. Eigentlich ein fast irrsinniges Lachen war es, mit dem er dem Flug der verwandelten Raupe folgte. Wie leicht es war, geradezu unerträglich leicht, zu handeln, als ob hauchzarte Fäden ihn mit der Luft, mit der Natur und all ihren Geschöpfen verbanden. Ohne nachzudenken, ohne zu wollen, ohne Anstrengung hatte er ein Ergebnis erzielt, von dem er geglaubt hatte, dass es ihm auf immer versagt bleiben würde.
Der Mönch, der ihn in den ersten Tagen gepflegt hatte, kam vorbei und stimmte in sein Lachen ein. Und verrückterweise verstand er nun, was die Bilder der lachenden Mönche in den Wandelgängen des Klosters zu bedeuten hatten.
»Erleuchtung«, sagte der Abt hinter ihm, »ist der beste Grund für ein lautes Gelächter.«
Der Drang zum Lachen ließ nach, nicht jedoch die tiefe Heiterkeit. Er verbeugte sich tief vor Xiu Dao Yuan.
»Die Seide ist abgehaspelt, die Schmetterlinge sind geschlüpft, bereit, ihre Partner zu suchen und sich zu begatten. Für Euch
beginnt ein neuer Weg, baixi long . Ihr habt die Seide bezwungen, nun ist es an der Zeit, die andere Seite zu erlernen. Seide und Schwert, beides gilt es zu beherrschen. Beides steckt in Euch. Seid Ihr bereit, Drago tai pan ?«
Es war die Anrede, die ihn zurückgleiten ließ in seine irdische Form. Sein eigener Name klang ihm fremd in den Ohren, doch auch diese Herausforderung würde er nun annehmen. Auch wenn er den trüben Verdacht hegte, dass der Berg, den er ab jetzt zu erklimmen hatte, weit steiler sein würde als der kleine Hügel, den er eben bewältigt hatte.
Jetzt musste er sich wirklich auf seine Rückkehr in die äußere Welt vorbereiten.
Der Zeitpunkt kam näher, und er erkannte, wie klug sein Lehrer ihn geführt hatte.
Wäre er früher aufgebrochen, hätte er das Wesen in dem Kokon getötet, das er in sich trug. Nun musste er das Gespinst der Vergangenheit auflösen und aus eigener Kraft ausschlüpfen.
Allerlei Anknüpfpunkte
Allein, ganz fix, nähnadelfein
Bügelt der Schneider hinterdrein:
»Ist Leut’ begraben eine Kunst?
Nein, Leute machen, das ist ein’.«
»Du machst doch keine, kleiner Schneider?«
»Nein, ich nicht, aber meine Kleider.«
Christian Friedrich Scherenberg, Der güldene Ring
Ja, es war an der Zeit, sich der Welt zu stellen.
Die Gattin des Kommerzienrats steckte zufrieden meine Karte in ihr perlenbesticktes Retikül und versicherte mir noch einmal, wie entzückend die Mädchen aussähen, die Paula Oppenheims Schleppe getragen hatten.
Die Hochzeit Albert und Paula Oppenheims war ein glänzendes gesellschaftliches Ereignis, und da sich die Wogen inzwischen geglättet hatten, die mein unpassendes Auftreten im vergangenen Jahr ausgelöst hatten, waren Tante Caro und ich auch der liebenswürdigen Einladung gefolgt. Natürlich rümpften einige Damen immer noch die Nase über mich, allen voran die Dichterfürstin Helene und ihr Klüngel. Aber das war mir weidlich egal.Viel erfreulicher war es, dass mir Paulas dezent geflüsterte Hinweise schon zwei weitere potenzielle Kundinnen verschafft hatten, die erwogen, Festtagskleider für ihre Töchter von mir kreieren zu lassen. Julia Masters war die Erste gewesen, die mich angesprochen hatte.
»Sie sehen bezaubernd aus, wie kleine Elfen. Und wissen Sie was, Frau Kusan, das liegt sicher auch daran, dass sie sich
einigermaßen natürlich bewegen. Ich habe es als Kind immer gehasst, in starre Mieder und gestärkte Rüschen geschnürt zu werden.«
Ich verriet ihr mein Geheimnis nicht – warum sollte ich? Aber genau das war meine Überlegung gewesen, als ich die Kleider entworfen hatte. Von LouLous Tanzkostümen und denen der Balletteusen hatte ich mir einiges abgeschaut, und so waren luftige, aus vielen Lagen pastellfarbenen Chiffons bestehende Röcke entstanden, in denen die Mädchen sich mit Begeisterung drehten und beschwingt ausschreiten konnten.
Julia Masters wollte mit ihrem Verlobten Paul-Anton Waldegg im Herbst Hochzeit feiern und hatte mich schließlich gebeten, auch für sie die Ausstattung der Blumenmädchen zu übernehmen. Ich sagte unverzüglich zu, nicht nur, weil der Auftrag lukrativ war, sondern auch, weil ich die junge Frau ausgesprochen sympathisch fand. Sie war, wie ich gehört hatte, die Tochter des Schokoladenfabrikanten Alexander Masters und seiner Frau Amara, die zu den Bekannten Oppenheims gehörten. Ihr Verlobter hatte sich als Erbe
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