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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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unansehnlich oder missgestaltet, auch nicht aufdringlich oder von schlechten Manieren. Heute hätte ich noch nicht einmal sagen können, warum ich ihn nicht mochte. Meine Eltern schätzten ihn und hätten es sehr begrüßt, wenn ich seinen Antrag angenommen hätte. Ich verstand es inzwischen – sie wollten mich wohl versorgt wissen, denn schon damals stand es um ihre Finanzen nicht mehr rosig. Ich fühlte mich gedrängt – und mein unseliger Charakter sei beklagt: Er ließ mich eine andere Fehlentscheidung treffen. Ich dummes Huhn war nämlich verliebt. Ich hatte keine finanzielle Absicherung in der Ehe angestrebt, ich wollte Liebe und Leidenschaft.
    Letzteres hatte ich bekommen, Ersteres an ein unwertes Subjekt verschenkt. Zum Schluss hatte ich nichts mehr von beidem. Und nun war ich alleine, aber ich hatte die Wahl.
    Bernd Marquardt, das hatte ich natürlich gespürt, war
durchaus bereit zu mehr als einem Flirt, und er hatte natürlich auch mehr in mir geweckt als nur ein bisschen Freude am Tändeln. Das leise Prickeln, das ich in seinen Armen beim Tanzen gespürt hatte, konnte durchaus der Beginn eines heißeren Feuerchens werden. Aber ich hatte ja dazugelernt – mit Schlawinern hatte man seinen Spaß, durfte sich aber keine Illusionen über tiefer gehende Gefühle machen. Andererseits – diskret war er bestimmt, der gute Bernd. Bislang war noch kein Getuschel an meine Ohren gelangt, obwohl ich vermutete, dass nicht nur Ballettmäuschen und Bühnennachtigallen sein Bett teilten.
    Ja, ich mochte ihn, genau wie ich Gernot auch mochte. Dessen Absichten aber blieben mir bislang noch verborgen. Er schätzte meine Gesellschaft, hatte auch einen gewissen Beschützerinstinkt, aber zwischen Courtesie und Heiratsabsichten lag doch eine ganze Welt. Immerhin würde es für ihn bedeuten, nicht nur mich, sondern auch zwei Kinder eines anderen Mannes zu seiner Familie zu machen. Er war ein ernsthafter Mann, der seine Handlungen gut überlegte.
    Ich fragte mich, ob ich ihn auf Charnays hässliche Verhaltensweisen aufmerksam machen sollte. Aber kurz darauf verwarf ich den Gedanken. Zum einen war es Nonas Geheimnis, das sie mir anvertraut hatte, zum anderen – was würde es ändern? Wenn Gernot sich deswegen genötigt gesehen hätte, seine Geschäfte mit Charnay einzustellen, dann wäre an seine Stelle sofort ein anderer Seidenweber getreten.
    Ich trank meinen Wein aus und ging zu Bett.
    Und träumte von charmanten Luftikussen und leidenschaftlichen Küssen.
    Tat mir nicht gut.
     
    Am nächsten Morgen war ich demzufolge etwas angeschlagen und müde, aber dennoch stand ich auf, bevor Tante Caro sich aus den Plumeaus erhob. Nona hatte, wie seit einigen Wochen üblich, die Kinder zur Schule begleitet und saß bereits oben im
Nähzimmer, um an einem von LouLous Trikots zu sticheln. Ich half Hilde, die Wäsche einzusortieren, beglich die Rechnung für den Milchmann und gab ihm die Bestellung für die nächste Woche auf, ließ den Kaminkehrer ein und nahm die Post entgegen. Drei heftig parfümierte Umschläge galten Tante Caro und beinhalteten vermutlich höchst geistlose Tratschereien ihrer Bekannten. Einer jedoch war an uns beide adressiert, und als ich den Absender las, beschloss ich, ihn aufzumachen. Mit dem eng beschriebenen Briefbogen in der Hand stieg ich nach oben, um ihn zu lesen, bevor ich an meine Arbeit ging.
    Nona hob den Kopf und sah mich mit ängstlichen Augen an. Das wunderte mich, denn sie hatte seit ihrer Aussprache deutlich an Sicherheit gewonnen und ging inzwischen sonntags sogar alleine zur Messe. Aber weil ich erst das Schreiben von Cousine Hannah lesen wollte, nickte ich ihr nur zu.
    Onkel Ernst, Tante Caros und meiner Großmutter älterer Bruder und damit mein Großonkel, würde im nächsten Monat siebzig werden und hatte vor, zu diesem Anlass seine Familie um sich zu versammeln. Gleichzeitig, so berichtete Hannah, sollte zu diesem Anlass ihre Verlobung mit dem Pfarramtsanwärter Armin Kamphoff stattfinden.
    Soso.
    Hannah war Onkel Ernsts Tochter aus zweiter Ehe, ein Nachkömmling, gezeugt im rüstigen Alter von neunundvierzig, und damit jetzt einundzwanzig Jahre alt. Ich hatte sie als ein jüngeres Ebenbild von Tante Caro in Erinnerung, klein, mollig und mit einer Menge flauschiger brauner Locken. Außerdem kicherte sie gerne und oft und spielte recht anständig Klavier. Sehr viel mehr wusste ich nicht von ihr. Als ich Münster vor zehn Jahren verlassen hatte, war sie noch ein Mädchen gewesen, und seither

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