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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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er sich eine wirklich große Belohnung gönnte. Der Ertrag der diesjährigen Seidenproduktion war hervorragend, die Preise auf Grund der Raupenkrankheiten noch einmal deutlich gestiegen, und die Hälfte seiner Ware hatte bereits sein deutscher Geschäftspartner abgenommen.Wenn auch mit einem gewissen Murren. Dabei hatte er nur einen zehnprozentigen Zuschlag verlangt.
    Auf dem neu erworbenen Grundstück hatten seine Leute bereits die Maulbeerbaumstecklinge gesetzt, und in fünf Jahren würde er seine Erträge noch einmal um ein Drittel steigern können. Kurzum, seine Geschäfte florierten.
    Das Essen war opulent gewesen, die Klagen der anderen Seidenzüchter erquickten ihn weit mehr noch als der dunkelrote Bordeaux. Weitere vier Kollegen hatten mit bösen Einbrüchen zu kämpfen gehabt und versuchten verzweifelt, an gesunde Seidensaat zu kommen.Aber auch die Italiener steckten in Schwierigkeiten, und die Eier des Seidenspinners aus China oder Japan waren teuer und sehr schwer zu bekommen.
    »Sie sind vom Glück gesegnet, de Charnay«, sagte sein Tischnachbar
gerade mit säuerlicher Miene. »Wie stellen Sie es an, dass Ihre Raupenhäuser verschont bleiben?«
    Da er seine rigorosen Aussonderungsmaßnahmen für sich behalten wollte, murmelte er nur etwas Belangloses über möglicherweise günstige Klimabedingungen und eine gute Belüftung der Brutschuppen.
    »Werde mich darum auch mal kümmern müssen. Unsere Seidenhäuser sollten mal renoviert werden. Aber die Investitionen … Sie haben die Rohseide nach Köln verschifft, habe ich gesehen.«
    »Einen Teil. Den Rest werde ich hier auf den Markt bringen. Wenn die Preise noch etwas angezogen haben«, erwiderte Charnay mit der Andeutung eines Lächelns.
    »Sie bevorzugen die deutschen Abnehmer?«
    Jetzt war die Stimme des Mannes mehr als säuerlich. Er war für seinen Patriotismus bekannt. Bevor es zu politischen Disputen kam, erhob ein anderer Seidenzüchter schlichtend seine Stimme und erklärte: »De Charnay hat schließlich deutsches Blut in den Adern. Nicht wahr, Sie haben nicht nur geschäftliche, sondern auch private Beziehungen nach Köln?«
    »Geschäftliche, Lebrun, geschäftliche.Von meinen Verwandten lebt niemand mehr.«
    Eine Tatsache, die Charnay wenig betrübte. Was ihn aber gleich darauf in verdrießliche Stimmung versetzte, war der Bericht eines weiteren Mitglieds der Gesellschaft. Der Mann hatte im vergangenen Monat die Stadt am Rhein aufgesucht und schwärmte von den Unterhaltungsmöglichkeiten, die ihm geboten worden waren.
    »Sie fangen an, ein richtiges Flair zu entwickeln. Es gibt einige nette Cafés dansantes , ein großes Lustspieltheater in der Schildergasse und, ganz neu, einen Salon Vaudeville, den eine höchst amüsante Dame führt. Dürfte für Sie interessant sein, Charnay. LouLou Wever ist nämlich die Schwester Ihres Kunden Gernot Wever in Mülheim.«
    Die bittere Galle kam ihm hoch, als er an den unrühmlich
verlaufenen Nachmittag im Sommertheater im vergangenen Jahr dachte. LouLou, die Schlampe! Ihren Nachnamen hatte sie nie genannt, die hinterhältige Tänzerin. Mit zusammengebissenen Zähnen antwortete er: »Ich wusste nicht, dass Wever so zwielichtige Verbindungen hat.«
    »Was macht das schon, so lange er pünktlich zahlt!«
    »Wer weiß, zu welchen Kreisen er seine Beziehungen pflegt!«
    »Aber, aber, Charnay. Erzählen Sie uns doch nicht, dass Sie als lediger Mann nicht auch dann und wann Abwechslung suchen.«
    »Nicht bei den Verwandten meiner Abnehmer. Das ist ja degoutant. Ich werde über weitere Geschäfte nachdenken müssen.«
    »Tun Sie das, mein Lieber, tun Sie das«, höhnte sein Tischnachbar jetzt. »Aber geben Sie mir doch bitte die Adresse jenes Seidenfabrikanten.«
    Die Galle ließ sich nicht einmal mit dem dunklen Wein hinunterspülen. Und es kam noch schlimmer.
    »Die Adresse kann ich Ihnen auch geben«, sagte Lebrun. »Hab ja selbst versucht, mit ihm ins Geschäft zu kommen. Er wird expandieren, vermute ich. Er sprach davon, eine weitere Jacquard-Maschine zu erwerben. Mag sich für ihn lohnen. Er hat eine Künstlerin an der Hand, die Stoffmuster für ihn entwirft, die sich ungewöhnlich gut verkaufen. Ich habe die Dame selbst kennengelernt. Nettes Persönchen. Ist auch mit seiner Schwester befreundet. Ariana oder Adrienne Kusan. Eine junge, lebenslustige Witwe.«
    Gelbe Wut stieg in Charnay hoch. Er hörte nicht mehr die anzüglichen Bemerkungen, die Schilderungen erotischer Erlebnisse, zu denen sich die anderen

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