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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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hatte ich sie immer nur an den Weihnachtsfeiern getroffen. Nun war sie also erwachsen geworden und trug sich mit Heiratsabsichten.
    Heiraten wurde nachgerade zur Seuche.
    Aber gut, für den vierzehnten August sollte also eine Reise in
meine Heimatstadt geplant werden. Es passte ganz gut, die Kinder hatten Sommerferien, die vornehme Welt hatte die Stadt verlassen, um in die Sommerfrische zu fahren, und mein Atelier würde ich sinnvollerweise erst zum Herbst eröffnen.Warum nicht eine Woche Familienbesuch einplanen? Es fuhr ja inzwischen die Köln-Mindener Eisenbahn bis Hamm, und von dort gab es Anschluss nach Münster. Den Kindern würde die etwa vierstündige Bahnfahrt ein Vergnügen sein, Tante Caro konnte sich anschließend von den Verwandten von der unmenschlichen Tortur durch mitfühlenden Klatsch und Tratsch heilen lassen, und ich – ich würde lange Spaziergänge über das Land machen, fern von rauchenden Schloten, ratternden Kutschen, engen Häuserschluchten und dem modrigen Dunst des schlammigen Rheinufers.
     
    »Madame?«
    »Oh, Nona. Ich war ganz in Gedanken versunken.«
    »Schlechte Neuigkeiten?«
    »Nein, nein. Eine Einladung zu einem großen Familienfest. Wirst du es im August eine Woche ohne uns hier aushalten, Nona?«
    Wieder sah sie mich ängstlich an und druckste herum.
    »Was ist? Haben die Kinder etwas ausgefressen?«
    »Nein, Madame, ich habe gefressen aus.«
    »Ei, ei. Und was?«
    »Es tut mir so leid, und ich weiß nicht, was tun, Madame. Madame LouLou hat mich gefragt, ob ich zu ihr ziehe. Helfen bei Kleidern und Kostümen. Aber ich nähe doch für Sie.«
    »Und Madame LouLou hat dir einen höheren Lohn angeboten?«
    Verlegen nickte Nona. Ein wenig verwunderte mich LouLous Vorgehen. Sie hätte mir ihre Absicht ja durchaus mitteilen können.
    »Das auch, Madame Ariane. Aber es ist... Ich habe sie gefragt. Weil Sie haben doch die Maschine gekauft.«

    Hoppla, was hatte ich denn da unwissentlich angerichtet? Gernot hatte mir nicht nur seine Unterstützung bei den Behördengängen angeboten, er hatte mir sogar einen weit besseren Vorschlag unterbreitet. Er hatte nämlich seinen Kontakt zu Clemens Müller in Dresden genutzt, um mir eine Nähmaschine zu besorgen. Ich hatte zwar von diesen Apparaten schon gelesen, bisher aber nie daran gedacht, selbst damit zu arbeiten. Er aber meinte sehr richtig, dass ein Gerät, dass dreihundert Stich pro Minute nähen konnte, eine ungeahnte Verbesserung meiner Leistung darstellen würde. Damit lag er unbedingt richtig. Eine wirklich gute Näherin konnte bis auf dreißig Stich pro Minute kommen, ich war deutlich langsamer. Im nächsten Monat würde die Nähmaschine geliefert werden, und erfreulicherweise konnte ich sie in Raten bezahlen.
    Ich hatte vergessen, dass Nona sich dadurch überflüssig fühlen könnte.
    »Nona, ich habe die Maschine gekauft, weil ich glaube, oder besser: hoffe, wir würden bald so viele Aufträge haben, dass wir viel schneller arbeiten müssen. Aber diese Maschine kann nicht alles. Ich bezweifle, dass man diese Wirkwaren damit nähen kann.« Ich wies auf die sich an den Kanten einrollende, elastische Seide. »Gaze, Chiffon, Tüll, Organza – das wird alles noch mit der Hand genäht werden. Ich brauche dich weiterhin.«
    »Ja, Madame. Aber ich habe Madame LouLou versprochen, ihr zu helfen. Abends, bei Kostümen.«
    LouLou wollte sie als Zofe – nun, warum nicht? Ich würde mit ihr reden, ob sie nicht dennoch stundenweise die feinen Näharbeiten für mich übernehmen konnte. Nona hätte ihren doppelten Lohn und sicher ein großzügigeres Zimmer als unser Dienstbotenkämmerchen. Außerdem würde sie dann Tante Caro auch nicht mehr stören, deren missgünstiges Verhalten ihr sicher unangenehm war.
    »Gut, Nona, dann ziehst du zu Madame LouLou. Aber wenn sie einverstanden ist, würdest du mir dann tagsüber helfen, wenn ich mein neues Atelier habe?«

    »’türlisch!«
    Gut, Philipp und Laura würden sie auch vermissen.
    Aber auch sie würden sich zukünftig an Veränderungen gewöhnen müssen.

Florierende Geschäfte
    Fliehe, bist du des Führers im eigenen Busen nicht sicher,
Fliehe den lockenden Rand, ehe der Schlund dich verschlingt!
Manche gingen nach Licht und stürzten in tiefere Nacht nur.
     
    Friedrich Schiller, Einem jungen Freunde
    Charnay nahm einen Schluck des ausgezeichneten Weines, der in den Räumen der Société de la Soie gereicht wurde, und hörte aufgeräumt seinem Nachbarn zu. Es war einer dieser Abende, an denen

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