Goldbrokat
ich hängte zarte Tüllgardinen an die Fenster und nagelte ein elegant beschriftetes Schild über die Tür.
Doch es gab auch Kämpfe auszufechten, und einer drehte sich um den großen Seidenteppich, den ich gerne im Anprobenraum auslegen wollte. Die Kinder bestanden auf ihrem Meer und der Dracheninsel, selbst Captain Mio krallte sich in die Fransen, als wir ihn zusammenrollten. Also überließ ich ihnen den persischen Teppich aus meinem Schlafzimmer und empfahl den beiden, die Kulisse für ihre Abenteuerspiele zukünftig in den Dschungel zu verlegen.
Es kam nicht gut an.
Genauso wenig wie die vier Damen, die mir die Personalagentur auf meine Anfrage nach einem Kindermädchen geschickt hatte.Tante Caro, Laura und Philipp waren bei den Gesprächen dabei, denn ich wollte ihnen die neue Hausgenossin nicht einfach vor die Nase setzen.
Die Ausbeute war mager. Die erste junge Frau war ein solches Landei, dass man sie nicht alleine auf die Straßen lassen konnte, sie hätte sich unweigerlich schon im ersten Karree verlaufen. Unsere Ablehnung war einhellig. Die zweite war eine bibelfeste Gouvernante, der der Heilige Geist aus allen Poren quoll. Sie gefiel uns dreien nicht, wäre aber von Tante Caro geduldet worden. Die dritte trat schon gleich wie ein weiblicher preußischer Feldwebel auf und durchbohrte die Kinder mit stechendem Blick. Sie hatte verloren, bevor sie den Mund zum ersten gebellten Befehl öffnen konnte. Tante Caro erwärmte sich herzlich für die vierte Anwärterin, ein elegisches höheres Fräulein, das noch nicht einmal wusste, dass es Dampfmaschinen überhaupt gab.
Was sie schlicht disqualifizierte.
Ich war mit meinen Nerven fast fertig, als LouLou mir anbot, Nona könne sich für ein paar Wochen um die Kinder kümmern.
Auch wenn das wieder zu Spannungen mit Tante Caro führen würde. Aber dann ergab sich in all dem Trubel eine unerwartet glückliche Lösung.
Glück war jedoch nicht der Grund für den verklecksten Brief von Cousine Hannah, auf dem die Tinte an den vielen Stellen bis zur Unleserlichkeit verschwamm, wo ihr die Tränen aufs Papier getropft waren. Sie hatte die Verlobung mit Pfarramtsanwärter Armin Kamphoff gelöst.Warum, das konnte ich aus dem Geschreibsel nicht entziffern, aber sie würde wohl schon ihre guten Gründe gehabt haben. Nichtsdestotrotz war sie jetzt in der gleichen Situation wie ich, nämlich wie Philipp es so trefflich bezeichnete – in Verschiss geraten.
Ich fragte die beiden, bekam ein den Umständen entsprechendes, geradezu begeistertes Valet, lief zum Postamt, sandte die kurze Meldung, dass ich sie dringend als Kindermädchen brauchte, und fragte nach, wie bald sie kommen könnte.
Nach zwei Tagen lag die Antwort vor. »Donnerstag mit dem Nachmittagszug!«
Das beeindruckte mich. Entweder war die Lage so dramatisch, dass sie es nicht mehr aushalten konnte, oder sie war eine tatkräftige junge Frau, die eine Chance nutzte, ohne groß zu lamentieren.
Wir holten sie vom Bahnhof ab, und von dem Augenblick an stiegen meine Hoffnungen auf eine erträgliche Zukunft wieder.
Schlägerei im Theater
Die ihr den Nervenfaden unsers Lebens
Durch weiche Finger sorgsam treibt,
Bis unterm Klang der Schere sich vergebens
Die zarte Spinnewebe sträubt.
Friedrich Schiller, An die Parzen
Nona hielt sich während der Vorstellungen immer hinter den Kulissen auf, in den Zuschauerraum ging sie nie. Zum einen, weil sie keine neugierigen Blicke auf ihre Blässe lenken wollte, zum anderen, weil sie lieber schnell bei der Hand sein wollte, wenn die Schauspieler, Sängerinnen oder Tänzerinnen mit irgendeinem Problem ihrer Kleider von der Bühne kamen. Oft genug gab es auf die Schnelle einen ausgerissenen Ärmel zu flicken, eine geplatzte Naht zu richten, aber auch hastig das Kostüm, ein Trikot zu wechseln. Alle, die im Salon Vaudeville auftraten, wussten ihre stille Hilfsbereitschaft zu schätzen, und sie bekam mehr als genug freundliche Worte zu hören.
Besonders liebevoll aber war LouLou zu ihr. Nona lächelte in sich hinein. Madame konnte nach außen berechnend wie ein Schlachterhund wirken, bissig manchmal, unbarmherzig, wenn etwas schiefging, kalt und mitleidlos gegenüber denen, die selbstverschuldete Fehler begingen. Eine betrunkene Tänzerin hatte sie eigenhändig auf die Straße gesetzt, Melisande, die irgendein aufputschendes Zeug geschnupft hatte, mit Worten heruntergeputzt, dass sie anschließend wie ein Häuflein Asche im Kamin wirkte, einem notorisch zu spät
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