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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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Dick, dass sie und ihr Vater in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung waren. »Er ist Gottes kämpfender Engel. Ich verstehe ihn nicht, aber ich liebe ihn.«
    Dick kam das widersinnig vor. »Ich könnte meinen Vater nicht lieben, wenn er mein politischer Feind wäre«, sagte er.
    Pearl lächelte. »Für mich gibt es keine Feinde.«
    Im Nachhinein glaube ich, dass das Zusammentreffen mit Pearl und Absalom Dick half, ein anderer Kommunist zu werden. In mancher Hinsicht war das ein wunderbares Beispiel für Gottes Wirkungsweise. Denn ohne es zu wissen, hatte sich Dicks Horizont erweitert, als Gottes Licht auf ihn schien. Doch das würde erst die Zukunft offenbaren.
     
    Den Abend vor seiner Abreise verbrachten mein Mann und ich zusammen. Obwohl sein Kiefer noch immer empfindlich war, kochte ich ihm seine Lieblingsmahlzeit. Wir blieben bis spät in die Nacht auf und besprachen unsere Pläne. Dick freute sich auf die bevorstehende Reise, doch wir beide vergossen Tränen bei der Vorstellung, voneinander getrennt zu sein. Er versprach, zurückzukommen und mich zu holen, sobald er sich eingerichtet hatte. Ich wusste, er würde in Nanjing bleiben, wenn ich darauf bestünde. Er würde es für mich tun, obwohl sein Herz schon bei Mao und seinen Genossen war. Beim Abschied zitierte er Madame Curie: »Der Schwache wartet auf eine Gelegenheit, der Starke erschafft sie.« Mit Gelegenheit meinte er seinen Traum von einem China des Volkes.
     
    Zwei Monate später schrieb ich Dick meinen ersten Brief. Er hielt eine Überraschung für ihn bereit: Wir hatten in unserer letzten Nacht das Bett geteilt, und ich war schwanger geworden. Meine Freude war groß, denn vor vielen Jahren hatte ein Arzt nach meiner Fehlgeburt gesagt, ich könnte keine Kinder bekommen. Ich war dreiundvierzig und Dick sechsundvierzig Jahre alt. Es war der glücklichste Brief, den ich je geschrieben habe.
    Pearl schlug vor, dass ich anfing, Medikamente zu sammeln und in Tüten zu packen. Ein befreundeter amerikanischer Journalist hatte Mao interviewt und erfahren, dass »Medikamente die beste Währung« in Yan’an seien. Außerdem wollte ich nicht ohne Medizin für mein Neugeborenes sein.

22 . Kapitel
    A
n dem Tag, als Papa seine Kirche in Chinkiang verließ und nach Nanjing kam, wurde Pearl bewusst, dass Ausländer in China nicht mehr sicher waren.
    Papa erzählte, die Kirche sei gestürmt worden. Die Nationalregierung war überzeugt, dass der Kommunismus eine ausländische Erfindung und die Kirche somit ein Versteck für Kommunisten war.
    »Dick hat Glück gehabt, dass er schon vorher weggegangen ist«, sagte Papa. »Wäre er geblieben und gefangen genommen worden, hätte man ihn vielleicht ermordet.«
    Wir erfuhren, dass alle Fluchtwege von Nanjing ins Landesinnere und in die Küstenstädte von Kriegsherren kontrolliert wurden, die sich mit den Nationalisten verbündet hatten.
    Als wir uns am Sonntagmorgen in der Kirche von Nanjing versammelten, gab es keinerlei Anzeichen für das, was sich an diesem Tage ereignen sollte. Die Leute glaubten, so etwas wie in Chinkiang könnte hier nicht passieren, weil Nanjing die Hauptstadt war und mehrere ausländische Botschaften hatte.
    Absalom begann mit einer Bibellesung. Wir sprachen über Kapitel siebenundzwanzig, Paulus’ Reise nach Rom. Ich konnte mich nur schwer konzentrieren. Ich machte mir Sorgen um Dick und die Sicherheit des Kindes in mir. Die Worte mit den Fingern nachzeichnend, folgte ich Absalom. »Mehrere Tage hindurch zeigten sich weder Sonne noch Sterne und der heftige Sturm hielt an. Schließlich schwand uns alle Hoffnung auf Rettung …«
    Während Absalom bemüht war, uns zu überzeugen, dass Gott das Böse nicht gewinnen lassen würde, kam ein junger rothaariger Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in die Kirche gerannt. Er war atemlos und schweißgebadet.
    »Ja, Sir?« Absalom missfiel die Störung. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Der Mann reichte Absalom einen Brief und sagte. »Der Generalkonsul hat befohlen, alle Amerikaner in Nanjing sofort zu evakuieren.«
    »Was ist passiert?« Absalom ließ die Bibel sinken.
    »Die chinesische Regierung hat uns informiert, dass sie die Kontrolle über das wachsende Chaos verloren hat.« Der Botschaftsangestellte sprach schnell. »Es gibt Aufstände in den Provinzen Shandong, Anhui und Jiangsu. Der Mob und Soldaten haben Ausländer getötet.«
    »Nichts dergleichen passiert hier in Nanjing«, erwiderte Absalom. »Sind Sie sicher, dass Ihr Generalkonsul

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