Goldener Bambus
befürchteten, der Mob wäre zurückgekommen, und sprangen auf.
»Wer ist da?«, fragte Pearl.
»Öffnen Sie bitte die Tür. Ich bin es, Soo-ching!«
»Kenne ich Sie?«, fragte Pearl.
»Ja, ich habe meinen Sohn in Ihrem Garten zur Welt gebracht.«
»Was?«
»Ich heiße Soo-ching, und mein Sohn heißt Konfuzius.«
»Oh, Konfuzius, ja, ich erinnere mich!« Pearl machte die Tür auf.
Soo-ching brachte einen schlimmen Kotgestank mit ins Zimmer.
»Was ist mit Ihnen passiert, Soo-ching?«, fragte Pearl.
»Ich hab einen Eimer Fäkalien über mich geschüttet, zur Sicherheit«, erwiderte sie.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Pearl.
»Mir helfen? Nein, ich bin hier, um Ihnen zu helfen! Weil Sie sonst morgen alle tot sind!«
»Wie meinen Sie das, Soo-ching?«
»Die Soldaten haben mich gezwungen, für sie zu kochen. Sie bereiten für morgen ein Festbankett vor. Ich hab gefragt, was sie feiern wollten, und sie sagten, morgen würden sie alle Ausländer in Nanjing töten.«
Pearl wurde bleich.
»Ich bin hier, um Ihnen ein Versteck anzubieten, Mrs Pearl«, sagte Soo-ching.
»Wirklich? Wie freundlich von Ihnen, Soo-ching!« Pearl fing an zu weinen.
»Buddha segnet Sie, Pearl. Sie haben mir Wasser gegeben, als ich am Verdursten war. Jetzt bin ich an der Reihe, Ihnen einen Bach zu schenken.« Soo-ching wandte sich ihrem Sohn zu. »Konfuzius, komm und erweise deinen Respekt.«
Konfuzius, ein rappeldürrer, schielender Junge, verbeugte sich vor Pearl.
Mit Tränen in den Augen folgte Pearls Familie, einschließlich Absalom, Soo-ching in ihre strohgedeckte Hütte.
Als Soo-ching die Tür öffnete, schossen Schnaken wie braune Bälle heraus. Sie flogen einen Sturmangriff auf unsere Gesichter, Arme und Beine. Ihr Summen klang wie das Spiel von zehn Erhus gleichzeitig.
»Hierher kommt keiner, weil es so stinkt«, sagte Soo-ching.
Als Pearl, Grace, Absalom und die Kinder in der Hütte waren, verbarrikadierte Soo-ching die Tür mit Heuballen. Dann schleppte sie eimerweise Eselurin heran und goss ihn auf den festen Boden davor.
Papa kam erschöpft nach Hause. Er hatte keine Hilfe gefunden. Ich fragte ihn nach Pearls Brief, und er sagte, er hätte ihn Zimmermann Chan gegeben. »Wenn es noch irgendwo ein Boot gibt, wird er es finden.«
Ich war aufgebracht. »Pearl wartet schon, dass du zurückkommst.«
Papa sagte, dass es Zeit war, an unser eigenes Überleben zu denken. »Hast du etwas von deinem Mann gehört?«, fragte er. »Ich dachte, er würde kommen und uns holen.«
»Dick hat eine Nachricht geschickt«, antwortete ich. »Aber wer wird Pearl und ihrer Familie helfen?«
»Wir haben unser Bestes getan«, sagte Papa.
»Dann geh doch und such dir ein Versteck.« Ich war enttäuscht.
»Das werde ich tun.«
Was dann passierte, hätte ich nie für möglich gehalten: Papa und ich wurden am helllichten Tag entführt. Ein Bekannter hatte der versprochenen Belohnung nicht widerstehen können und Papa an den Soldatenmob verkauft.
Der Denunziant zeigte auf Papa. »Dieser Mann weiß genau, wo die Ausländer sich verstecken.«
Plötzlich wurde Papa und mir klar, dass wir es mit richtigen Soldaten zu tun hatten, deren Anführer ein Kriegsherr war, den wir kannten – Kaiser Kohlkopf.
Unsere erste Begegnung war über zwanzig Jahre her, und aus dem ehemaligen Kriegsherrn war ein Befehlshaber der Nationalistischen Truppen in unserer Region geworden. Kaiser Kohlkopf prahlte damit, mehr Ausländer in diesem Land getötet zu haben als irgendjemand sonst. Er war auch für den Tod des Dekans verantwortlich.
Die Soldaten folterten uns. Sie wollten das Versteck der Ausländer wissen. Ich biss die Zähne zusammen und betete. Die Soldaten flößten mir so lange heißes Pfefferwasser ein, bis ich ohnmächtig wurde.
In einem sauberen Raum kam ich wieder zu mir. Papa war auch da.
Ich spürte seine Nervosität und fragte: »Papa, wo sind wir?« Seine Fingerspitzen waren mit Stoffstreifen umwickelt.
»Trink etwas Wasser, Weide.« Er reichte mir den Becher.
»Nein, Papa. Bitte, sag mir erst, was passiert ist.«
»Ich sorge dafür, dass du hier rauskommst.«
»Papa, was ist los?«
»Ich hab einen Handel gemacht, wir werden beide freigelassen.«
»Handel?« Ich starrte ihn an. »Was für einen Handel? Was hast du getan?«
Er wich meinem Blick aus.
»Rede, Papa!« Ich kämpfte gegen eine furchtbare Ahnung an.
»Das Wichtigste ist, dass wir beide in Sicherheit sind«, beharrte er. »Sieh dich an, du bist voller Blut
Weitere Kostenlose Bücher