Goldener Bambus
bald zeigte: Geheiminformationen sickerten durch, und Dicks Plan wurde aufgedeckt. Als ich davon hörte, war Dick schon auf der Flucht. Über Nacht stand er auf der Liste der meistgesuchten Regierungsgegner. Bald konnte er sich nirgendwo mehr in Shanghai verstecken. Wer Kontakt mit ihm hatte, wurde verfolgt und verhaftet.
Ich fragte Pearl, ob sie Dick einen Job an der Universität in Nanjing vermitteln könne. »Er muss eine Arbeitsstelle nachweisen, um sich als Einwohner Nanjings registrieren lassen zu können«, sagte ich ihr. »Er würde alles machen, auch als Hausmeister oder Nachtwächter arbeiten. Und es kostet die Universität nichts, denn wir würden dir das Geld geben, um ihn zu bezahlen.«
Pearl versprach, es zu versuchen, doch wies mich gleichzeitig darauf hin, dass auch die Lage in Nanjing immer unsicherer wurde.
»Ich würde Dick als Hausdiener einstellen, wenn das nicht sofort Verdacht erregen würde. Ich werde beobachtet«, fügte sie hinzu, »weil Ausländer grundsätzlich verdächtigt werden, Verbündete der Japaner zu sein.«
Als Dick in Nanjing eintraf, wurde er sofort verhaftet und ins Militärgefängnis der Nationalisten geworfen. Obwohl seine wahre Identität noch immer unentdeckt war, wurde er als Kommunist vor Gericht gestellt. Man forderte seine Kooperation und eine Liste der Namen seiner Kameraden. Als er sich weigerte, wurde er verprügelt, und man brach ihm den Kiefer.
»Darf er einen Arzt sehen?«, fragte Absalom, als ich Pearl davon erzählte.
»Nein«, erwiderte ich.
»Unsinn!«, sagte Absalom. »Wir werden nicht hilflos zusehen.« Er wandte sich an Pearl. »Wir können doch bestimmt etwas für Dick tun.«
»Vater, wir müssen vorsichtig sein. Nicht nur wir sind in Gefahr«, sagte Pearl und erinnerte ihn an die anderen Menschen in ihrem Haus. »Wir sind auch für sie verantwortlich.«
Außer Absalom und Carol wohnte Pearls Schwester Grace bei ihnen, deren Familie auch als Missionare in China geblieben war, und Pearls Adoptivtochter Janice. Sie war etwas älter als Carol und ihr schon eine richtige Schwester geworden.
Pearl bestand darauf, dass auch ich in ihrem Haus bliebe und nicht zurück in meine Wohnung ging.
Als die Universität in Nanjing Pearls Vorschlag ablehnte, Dick einzustellen, suchte der siebenundsiebzig Jahre alte Absalom die Nanjinger Regierung auf und behauptete, Dick sei ein Mitarbeiter der Kirche.
»Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Absalom beschlossen zu sündigen«, sagte Pearl nach Dicks Freilassung.
Absalom hielt es für seine Pflicht, die Mitglieder seiner Kirche zu beschützen. Aber Dick war kein Christ, was es schwierig für ihn machte. Doch Papa überzeugte Absalom davon, dass er, indem er Dick half, eigentlich unserer Familie helfen würde.
»Dick muss sehen, was Gottes Werk bewirkt«, sagte Papa zu Absalom. »Vielleicht wird er dann wegen Ihrer guten Tat konvertieren.«
Absalom wusste, dass auch Chiang Kai-shek zum Christentum übergetreten war, wenn auch nur, um die Heiratsbedingungen seiner Frau zu erfüllen. Also standen die Chancen bei Dick nicht schlecht.
»Und wenn Dick sich nicht bekehren lässt?«, fragte ich. »Wir wollen Absalom nicht enttäuschen.«
Papa erwiderte: »Dick wird sich daran erinnern, dass er von einem Mann Gottes gerettet wurde.«
Trotz Bart war Dicks Gesicht furchtbar entstellt. Die rechte Seite seines Kiefers war geschwollen und erheblich größer als die linke. Pearl sorgte dafür, dass ein Arzt aus der amerikanischen Botschaft Dicks Kiefer richtete und seinen Mund verdrahtete, so dass er ihn nicht mehr aufbekam.
Tagelang war Dick zum Schweigen verurteilt, wahrscheinlich ein Glück, denn so konnte er auf Absaloms Reden über Gott nichts entgegnen. Hätte er sprechen können, wäre ein heftiger Kampf zwischen den beiden entbrannt.
»Dick würde versuchen, Absalom zum Kommunismus zu bekehren«, sagte Pearl und lachte bei der Vorstellung.
Irgendwann hatte Dick genug und ging, ohne sich von Absalom zu verabschieden.
Zwei Wochen nach seiner Entlassung kam der Befehl aus dem kommunistischen Hauptquartier, Mao in seinem Stützpunkt in Yan’an aufzusuchen. Dick reiste am nächsten Tag ab. Pearl ließ er wissen, dass er Absalom für seine Rettung dankte, aber niemals an Gott glauben könne.
»Dein Vater muss lernen, dass wir Kommunisten für eine wichtige Sache kämpfen«, erklärte er ihr. »Eines Tages wird China frei von Politik und Religion sein und die Menschen ihr eigener Gott.«
Pearl erzählte
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