Goldener Bambus
Kohlkopf besessen davon, die Leute zu bekehren. Er will sie genauso retten, wie Dein Vater ihn gerettet hat. Kaiser Kohlkopf hat Dich als hinterhältiges Mädchen mit Strohhaaren in Erinnerung. Noch immer erzählt er die Geschichte, wie Du ihn mit dem Eimer voll Tinte zum Narren gehalten hast. Der Verlag des Volkes ist mit der Idee an ihn herangetreten, einen Kindercomic zu veröffentlichen, der auf seiner Geschichte basiert.
Der fünfte Zettel betrifft die Erde, die ich mitgebracht habe. Sie ist vom Grab Deiner Mutter. Ich werde sie hier verteilen. Wenn Du nichts dagegen hast, fülle ich danach den Beutel mit ein wenig Erde von hier. Die bringe ich dann, sobald ich zurück bin, zum Grab Deiner Mutter und vermische sie mit der Erde dort. Es erfüllt mich mit Freude, Eure beiden Seelen zu vereinen.
Der sechste Zettel betrifft meine eigenen Wünsche. Falls Du nichts dagegen hast, würde ich gern ein paar Samen von Deinen Bäumen hier mitnehmen. Ich habe keine Ahnung, wie sie heißen, und weiß nur, dass es amerikanische Bäume sind. Die Form der Nüsse sagt mir, dass sie blühen, aber wichtig ist nur, dass sie von dem Ort stammen, an dem Du beerdigt bist. Es würde mich nicht überraschen, wenn Du sie selbst gepflanzt hast. Ich stelle mir vor, dass das so ist. Du wusstest, dass der Geist sich durch die Natur vermittelt. Deine Stimme spricht zu mir durch den Bach, den Bambus, die Kiefer- und Ahornbäume, die Vögel und Bienen. Ich werde die Samen dort aussäen, wo man mich begraben wird, wenn meine Zeit gekommen ist. Dann werden wir uns für immer Gesellschaft leisten. Ich habe Dir Dein Lieblingslied aus den Butterfly Lovers mitgebracht. Allerdings müsste »Jangtse« in »Pazifik« geändert werden, doch ich lasse es, wie es ist. Ich weiß, Du bevorzugst immer das Original.
Ich lebe am Jangtse nahe der Quelle
und du wohnst ganz weit unten am Lauf.
Wir trinken Wasser aus demselben Fluss,
nie sah ich dich, doch täglich erscheinst du mir im Traum.
Wann hört das Wasser dieses Flusses auf zu fließen?
Wann werde ich dich nicht mehr lieben so wie jetzt?
Ach, würden unsere beiden Herzen schlagen doch wie eins,
und du würdest meine Liebe zu dir nicht verschmähn.
Freude, Dankbarkeit und ein Gefühl von Frieden erfüllen mich in diesem Moment. Ich danke Gott für das Glück, Dich gekannt zu haben.
Der Bach singt ein fröhliches Lied. Der Wind flüstert wie unsere frühren Gespräche durch zitternde Blätter. Die Luft ist rein und die Sonne warm. Noch einmal kommst Du auf mich zugelaufen, Sonnenschein auf dem Gesicht. Mit Deinem blauen chinesischen Blumenkleid und den wehenden goldenen Haaren siehst Du aus wie eine hüpfende Wolke.
»Weide«, höre ich Dich rufen, »beeil Dich, der Popcornmann ist da!«
ENDE
Anmerkung der Autorin
In China wurde mir befohlen, Pearl Buck zu denunzieren. Man schrieb das Jahr 1971 . Ich war ein Teenager und besuchte die Mittelschule 51 in Shanghai. Madame Mao hatte eine nationale Kampagne organisiert, in der Pearl Buck als »amerikanische Kulturimperialistin« kritisiert wurde, um internationale Unterstützung für die Ablehnung von Pearl Bucks Einreisevisum nach China (als Begleiterin von Präsident Nixon) zu bekommen.
Ich gehorchte dem Befehl und hinterfragte niemals den Wahrheitsgehalt von Madame Maos Behauptung. Obwohl ich damals einer Gehirnwäsche unterzogen worden war, erinnere ich mich noch, Probleme bei der Formulierung meiner Kritik gehabt zu haben. Und auch, dass ich gern die Gelegenheit gehabt hätte,
Die gute Erde
zu lesen. Man sagte uns, das Buch wäre so »giftig«, dass selbst der Akt des Übersetzens gefährlich sei. Mir wurde aufgetragen, Sätze aus Zeitungen zu kopieren: »Pearl Buck hat chinesische Bauern beleidigt und damit China.« »Sie hasst uns und ist deshalb unsere Feindin.« Ich war stolz, mein Land und mein Volk verteidigen zu können.
Erst nach meiner Immigration nach Amerika begegnete mir Pearl Bucks Name wieder. Als ich 1996 in einem Buchladen in Chicago aus meinem Buch
Rote Azalee
las, kam hinterher eine Dame zu mir und fragte mich, ob ich Pearl Buck kenne. Bevor ich antworten konnte, erklärte sie – mit emotionsgeladener Stimme und sehr zu meiner Überraschung –, dass Pearl Buck sie gelehrt habe, das chinesische Volk zu lieben. Sie gab mir ein Taschenbuch und sagte, es sei ein Geschenk. Es war
Die gute Erde
.
Ich beendete die Lektüre von
Die gute Erde
im Flugzeug von Chicago nach Los Angeles. Und weinte fürchterlich. Ich konnte mich
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