Goldener Bambus
nicht aus einem Lüftchen einen Sturm macht?«
»Sir, ich muss weiter«, sagte der Mann und eilte davon.
In der Kirche war es ganz still.
Alle Blicke richteten sich auf Absalom.
Mit einem unbekümmerten Gesichtsausdruck schlug dieser die Bibel wieder auf. Er blätterte um und begann zu lesen. Seine Stimme war ruhig, als wäre nichts geschehen. »Doch jetzt ermahne ich euch: Verliert nicht den Mut! Niemand von euch wird sein Leben verlieren, nur das Schiff wird untergehen. Denn in dieser Nacht ist ein Engel des Gottes, dem ich gehöre und dem ich diene, zu mir gekommen …«
Absalom bat die Leute, gemeinsam mit ihm weiterzulesen. » … und hat gesagt: Fürchte dich nicht, Paulus! Du musst vor den Kaiser treten. Und Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren. Habt also Mut, Männer! Denn ich vertraue auf Gott …«
Papa wurde immer nervöser. Schließlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Absalom«, rief er.
Absalom ignorierte ihn.
»Meister Absalom.« Papas Stimme zitterte.
»Ja, Mr Yee?« Absalom war sichtlich irritiert. »Sie haben hoffentlich einen guten Grund, mich auf diese Weise zu unterbrechen.«
Mit Panik in der Stimme, rief Papa: »Nanjing wird das nächste Chinkiang!«
»Beruhigen Sie sich, Mr Yee!«
»Es bleibt wenig Zeit«, flehte Papa. »Sie und Ihre Familie müssen sofort evakuiert werden!«
»Wovon reden Sie, Mr Yee?« Absalom starrte ihn an. »Was schlagen Sie denn vor, wo wir hingehen?«
»Nach Hause, Meister Absalom!«
»Wir sind zu Hause.«
»Nein! Ich meine Ihr Zuhause in Amerika!« Papa fing an zu stottern. »Mein Herr, Ihr Leben ist in Gefahr!«
»Ich gehe nirgendwohin«, erwiderte Absalom bestimmt. »China ist mein Zuhause.«
Pearl sah mit an, wie alle ihre westlichen Freunde evakuiert wurden. Tag und Nacht schleppten Hilfsarbeiter Kisten und Koffer zum Hafen, wo Dampfschiffe warteten. Zuletzt reiste die Familie des amerikanischen Botschaftsarztes ab. Da verlor Pearl die Fassung.
»Und wenn Carol krank wird?«, fragte sie Absalom verzweifelt. »Oder du fällst vom Esel und brichst dir ein Bein?«
»Die Chinesen haben Tausende von Jahren ohne westliche Medizin überlebt«, war Absaloms Antwort.
»Und wenn jemand operiert werden muss?«, fragte Pearl.
»Gott wird uns beschützen.«
»Bitte Vater, hier geht es um praktische Dinge.«
»Ich rede von praktischen Dingen.« Absalom wurde zunehmend ungehalten. »Du musst auf Gott vertrauen.«
»Ich habe ein krankes Kind, Vater, wir brauchen einen Arzt.«
Ohne Pearl anzusehen, sagte Absalom: »Für Gottes Werk muss man Opfer bringen.«
»Gottes Werk?« Pearl wurde böse. »Es ist dein Werk! Absaloms Ruhm! Absaloms Obsession! Warum sollen wir uns alle für dich opfern?«
Grace unterstützte Pearl und bat ihren Vater, es noch einmal zu überdenken.
»Was ist nur los mit euch allen?«, schrie Absalom. »Dann geht doch, lasst euch evakuieren! Beeilt euch, sonst ist das Schiff weg.«
»Wir können nicht ohne dich gehen«, sagten Pearl und Grace. »Du bist ein alter Mann!«
»Der Herr wird nicht zulassen, dass mir etwas passiert.« Absalom hatte volles Vertrauen. »Er braucht mich, um sein Werk hier zu verrichten.«
Die Luft roch verbrannt. In den Straßen von Nanjing herrschte eine geisterhafte Atmosphäre. Die Geschäfte waren geschlossen, und fast alle Ausländer waren geflohen. Pearl und Absalom verbargen sich im Haus. Auch Pearls Hausangestellte waren gegangen. Sie wären zwar bereit gewesen zu bleiben, aber Pearl wollte nicht, dass sie ihr Leben riskierten, nur weil sie Ausländern dienten. Pearl versprach, sie wieder einzustellen, sobald die Gefahr vorüber war.
Papa und ich waren damit beschäftigt, Wasserbehälter aufzufüllen und Lebensmittelvorräte anzuschaffen. Jeden Tag sahen wir nach Pearls Familie. Pearl hatte erzählt, dass Absalom Schwierigkeiten machte, weil er nicht im Haus bleiben wollte. Er glaubte, dass die Ereignisse perfekt für seine Arbeit waren. »Verzweifelte Menschen wenden sich Gott zu«, sagte er.
Pearl und Grace flehten Papa an, einen Weg zu finden, Absalom aufzuhalten.
Papa verwickelte Absalom in eine Diskussion über dessen Bibelübersetzung ins Chinesische. Die beiden Männer stritten heftig.
»Die Übersetzung ist nicht falsch«, beharrte Papa. »Aber manche Geschichten ergeben im Chinesischen keinen Sinn.«
Schließlich beschloss Absalom, zu Hause zu bleiben und sie zu überarbeiten.
In nur wenigen Tagen waren die Straßen voller Fremder. Die mit Brettern
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