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Goldener Sonntag

Goldener Sonntag

Titel: Goldener Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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lang wusste Blatt nicht, was er meinte, bis sie nah genug heran waren, dass sie erkennen konnte, was das rote Leuchten verursachte. Das Licht stammte nicht von einem Feuer oder mehreren Feuerquellen, sondern strahlte von den Brustkörben von hundert oder mehr Nichtlingen aus. Die hatten vor ihnen Schlachtordnung bezogen, sowohl auf derselben Ebene als auch darüber und darunter. Diese Nichtlinge besaßen rudimentäre Flügel aus Leder, die alle wild schlugen, aber noch frappierender war, dass sie, obwohl sie im Wesentlichen humanoid waren, scheinbar keine Köpfe besaßen.
    Jedenfalls keine Köpfe auf ihren Schultern.
    Blatt erkannte, dass das rote Leuchten aus ihren Augen kam. Augen, die etwa auf Höhe der Achselhöhlen in ihren Brustkörben saßen, und dort befand sich auch der Rest des Kopfes. Schreckliche, missgebildete Stirnen, Nasen und Kinne ragten aus den nackten Rümpfen, erleuchtet von der Glut der roten Augen.
    Ihre Zahl schien den Schnitter nicht zu beunruhigen. Selbst als die Angreifer von oben, unten und der Seite auf den Punkt zuflatterten, an dem sich ihre Wege kreuzen mussten, bewegte er sich mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Er selbst hatte zwar keine Flügel, doch Blatt bemerkte, dass die Sense ihn vorwärtszog, wie einen Taucher, der sich an einem Propellerantrieb festhält.
    Als der Abstand zu den Nichtlingen sich bis auf wenige Meter verringert hatte, kamen sie ihnen entgegen, um mit ihnen zu kollidieren; Dutzende deformierter Kreaturen, die aus allen Winkeln auf ihr Ziel zujagten. Blatt drehte sich halb um und schlug mit ihrem Schwert um sich, hieb und hackte drauflos in dem verzweifelten Versuch, die scheußlichen Hände der Nichtlinge daran zu hindern, sich an ihr festzukrallen und sie fortzuzerren. Die Sense des Schnitters fegte um sie herum, und dann gingen Blatts Schläge plötzlich ins Leere, denn die Nichtlinge fielen zurück, außerstande, mit ihnen Schritt zu halten.
    Blatt sah, wie die roten Lichtpunkte in der Ferne verblassten, hielt das Schwert aber weiter kampfbereit, während ihre Blicke hin und her huschten in dem Bestreben, sämtliche Richtungen im Auge zu behalten. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich noch fester am Schnitter festhielt. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte sie ihn schon längst erwürgt gehabt. Er beklagte sich jedoch nicht.
    Blatt wollte dem Schnitter eine Frage stellen, doch es kam kein Laut aus ihrem Mund. Sie schluckte und atmete ein paarmal tief durch, bevor sie es erneut versuchte.
    »Wie … wie lang dauert es noch, bis wir hier rauskommen?«, fragte sie und war erfreut, nur ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu hören.
    »Das kommt«, antwortete der Schnitter, »auf unsere Feinde an.«
    »Verstehe.« Blatt verstärkte ihren Griff um das Schwert und blickte noch einmal um sich: Wie zuvor war bis auf das Licht, das die Sense verströmte, alles dunkel.
    Da sah sie etwas. Einen winzigen, fernen Stern, ein Nadelstich reinen weißen Lichts. Sie steuerten geradewegs darauf zu, und von Sekunde zu Sekunde wurde der Punkt größer.
    »Ist das –«
    »Es ist die andere Seite des Eingangs«, sagte der Schnitter, obwohl Blatt eigentlich hatte fragen wollen, ob es sich um einen weiteren Feind handelte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Wenngleich sie wusste, dass der Schnitter nicht ihr Freund war, hatte sie vor ihm doch weniger Angst als vor dem Auftauchen weiterer grauenhafter Nichtlinge.
    Ihre Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn unvermittelt wechselte der Schnitter die Richtung. Gleichzeitig vermeinte Blatt das Echo einer Trompete oder eines anderen Blasinstruments zu hören, weit entfernt und so leise, dass ihr vielleicht auch ihre Ohren einen Streich spielten.
    »Wo … wo fliegen wir hin?«, fragte Blatt. Ihre Stimme war nicht so fest, wie sie gehofft hatte.
    »Einem Kameraden helfen«, sagte der Schnitter. Wie immer war seine Stimme völlig emotionslos.
    Während sie durch die seltsame Atmosphäre des Vordereingangs flogen, hörte Blatt den Trompetenruf erneut. Es wurde lauter, je weiter sie sich fortbewegten, was darauf hindeutete, dass der Schnitter den Ursprung des Geräuschs ansteuerte. Es musste sich um irgendein Alarmsignal handeln, auch wenn Blatt nach wie vor nichts in der Dunkelheit erkennen konnte. Dennoch hielt sie weiter die Augen offen und reckte den Hals, um alle möglichen Richtungen zu überblicken, aus denen ein Nichtlingsangriff erfolgen konnte.
    Aber es griffen keine Nichtlinge an, und nach einer Weile verstummte die

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