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Goldener Sonntag

Goldener Sonntag

Titel: Goldener Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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schneller, bis das Mädchen sich schließlich mit beiden Händen festhalten musste.
    »Das heißt aber noch lange nicht, dass ich dich behalten werde!«, sagte Blatt. Sie überlegte, wie sie das Schwert und den ungewollten Posten des Leutnant Hüters loswerden konnte. Wenn sie herausfände, wie sie die Waffe freigeben konnte, könnte sie sie einfach hierlassen. Vielleicht konnte sie das Schwert ja jemand anderem geben, genau wie es sein vorheriger Besitzer mit ihr gemacht hatte. Gut möglich, dass sie dazu erst im Sterben liegen musste, was wiederum ein deprimierender Gedanke war.
    Und sie nahm an, sie durfte es sich mit der Wahl ihres Nachfolgers auch nicht zu leicht machen. Nicht, dass der Job noch so wichtig gewesen wäre wie früher, in Anbetracht dessen, dass große Teile des Hauses inzwischen nicht mehr existierten. Blatt spürte die Sackgassen, in die sie ihre Grübeleien führten, wie einen Zahnschmerz und verbannte die Gedanken daran augenblicklich aus ihrem Kopf. Sie konnte ohnehin nichts daran ändern, und mit ein bisschen Glück wäre sie bald zu Hause und könnte hoffen, dass alles wieder normal würde.
    Als ob das passieren würde! , dachte Blatt, aber auch diesen Gedanken unterdrückte sie und richtete ihre Überlegungen wieder darauf, wie sie das Schwert mitsamt dem damit einhergehenden Amt loswerden könnte. Das Beste wäre es, Hilfe von Arthur oder Doktor Scamandros zu bekommen. Wenn sie zu einem der Ausgänge ins Große Labyrinth ginge – Blatts Gedankengang geriet zu einem Stolpern, als sie sich auf die Eingänge zum Großen Labyrinth konzentrierte und entdeckte, dass davon keiner mehr existierte, obwohl sie sich sicher war, dass sie noch Minuten zuvor welche wahrgenommen hatte.
    »Es wird schlimmer«, sagte sie laut. Ihre Unentschlossenheit wurde zur Qual; sie wusste nicht, ob sie versuchen sollte, irgendwie zu helfen oder einfach zu entkommen – falls möglich.
    Für den Augenblick behielt die Einfach-entkommen-Idee in ihrem Verstand die Oberhand, obwohl ihr klar war, dass es sich nur um einen Versuch handeln konnte. Sie würde versuchen, das Schwert wegzuschmeißen und heimzugehen. Falls das nicht funktionierte, würde sie losgehen und Arthur und Doktor Scamandros und die anderen suchen … irgendwo … im Mittleren Haus vielleicht, denn dort konnte sie noch Ausgänge wahrnehmen.
    Kurze Zeit später erreichte sie den Ausgang zu ihrer Welt. Es schien sich um eine normal große Tür aus reinem weißem Licht zu handeln, die sich immer senkrecht auf sie ausrichtete, egal aus welcher Richtung Blatt sich ihr näherte; sie drehte sich, wenn Blatt sich drehte, und das sogar spiralförmig, um sich auch den sonderbarsten Bewegungen des Mädchens anzupassen, die diese nur deshalb machte, um zu sehen, wie die Tür darauf reagierte.
    Als sie dicht vor dem strahlenden Portal stehen blieb, merkte Blatt, dass sie hindurchsehen konnte, hinaus auf die Welt dahinter. Auch erspürte sie eine Art Zerschlissenheit, Zerfaserung, als ob der Ausgang kurz vor dem Einsturz stünde. Sie vermutete, dass der Schnitter ihn erschaffen hatte und er deshalb nur zeitweilig existierte.
    Der Ausgang nahm immer noch denselben Raum ein wie die Vordertür von Freitags Klinik. Als Blatt nach draußen schaute, war sie kurz verwirrt, denn alles sah fast genauso aus wie in dem Moment, als sie gegangen war. Der Mannschaftswagen stand nach wie vor da, und aus dem Lauf des Geschützes stieg noch ein dünner Rauchfaden auf. Die Front war so verbeult, dass sie nur noch Schrott war; die Hintertür steckte zehn Meter weiter in einem ausgebrannten Auto. Blatt bemerkte eine Gestalt in Schutzanzug und Maske, die vorsichtig um die rechte Kette spähte.
    Die Vorsicht war verständlich, denn die Kreatur des Schnitters – das Biestwurz – war ebenfalls noch da. Blatt hatte gedacht, es würde mit seinem Herrn verschwinden, aber er hatte es einfach dort zurückgelassen. Sanft wiegte sich das riesige Tentakelwesen auf seinen vielen Beinen genau vor der Tür.
    Obwohl Blatt scheinbar stundenlang weg gewesen war, schienen auf der Erde nur wenige Minuten verstrichen zu sein.
    Sie betrachtete das Biestwurz, seinen merkwürdigen, gänseblümchenartigen Kopf mit den seeanemonenartigen Tentakeln und die drei langen und enorm starken Greifarme.
    Die Chancen, an ihm vorbeizusprinten, standen schlecht, und selbst mit dem Schwert des Leutnant Hüters konnte sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, das Biestwurz zum Kampf herauszufordern.
    So oder so, Blatt

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