Goldfasan
Angriff überlebt. Nun war er auf Heimaturlaub und seine Eltern hatten aus diesem Anlass einige Freunde eingeladen. Doch der Bombenalarm hatte den Tag unschön enden lassen.
Minuten später stand Peter Golsten vor der prachtvollen Villa. Bis vor wenigen Jahren hatte sie noch einer jüdischen Familie namens Cohn als Wohnsitz gedient. Golsten konnte sich noch gut an sie erinnern. Ehrbare Bürger Hernes waren das gewesen, Honoratioren eben. Nun residierte in dem Haus Walter Munder. Der Goldfasan.
Doch Peter Golsten wollte nicht weiter darüber nachdenken, wie Munder in den Besitz des Anwesens gelangt war. So etwas taten in diesen Tagen in Deutschland nur wenige. Und die behielten die Ergebnisse ihrer Überlegungen für sich.
Der Polizist drückte auf den Klingelknopf. Ein Dreiklang ertönte. Eine junge Frau öffnete. Auf ihrem Pullover trug sie deutlich sichtbar das gelbe Rechteck mit dem lilafarbenen P. Auch sie stammte also aus Polen.
»Ist Herr Munder zu sprechen?«, erkundigte sich Golsten.
Die Frau, eigentlich noch ein Mädchen und hübsch anzusehen mit seinen braunen Locken und noch dunkleren Augen, schüttelte den Kopf, gab Golsten aber mit einer schüchternen Handbewegung zu verstehen, dass er eintreten solle.
Die Halle, anders konnte man den Eingangsbereich nicht nennen, war mit weißem Marmor ausgelegt. Eine breite Treppe wendelte sich nach oben. Die von der Halle abgehenden Türen und Rahmen waren schwarz, Ölgemälde griechischer Helden protzten von den Wänden.
Weiter hinten stand ein Flügel. Ein großer Strauß Frühlingsblumen war auf dem schwarzen Korpusdeckel dekoriert.
Näher kommende Schritte, dann wurde eine der schwarzen Türen geöffnet. Eine weitere Frau erschien, etwa Ende dreißig, schlank, groß, blond. Offensichtlich die Dame des Hauses. Sie trug ein körperbetonendes, braunes Kostüm, dessen Oberteil ein wenig wie eine Uniformjacke geschnitten war.
Fehlen nur die Schulterklappen mit Goldbesatz, dachte Golsten.
»Sie wünschen?«
»Hauptkommissar Golsten. Frau Munder, nehme ich an?«
Sie nickte und reichte ihm die Hand. »Angenehm.«
»Ganz meinerseits. Ist Ihr Mann zu sprechen?«
»Sie sind der Polizist, der das Verschwinden unserer Polin untersucht?«
»Ja.«
»Möchten Sie ablegen?«
»Nein, danke. Ich habe ja nur die Jacke.«
Mit einer wortlosen Handbewegung verscheuchte die Hausherrin das junge Mädchen, das stumm und mit gesenktem Kopf im Hintergrund gewartet hatte.
Charlotte Munder trat beiseite und überließ Golsten den Vortritt in den Salon. »Mein Gatte wird jeden Augenblick hier sein. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
Golsten lehnte dankend ab. Auch im Salon hingen griechische Heroen in Öl an den Wänden, flankiert von energisch blickenden deutschen Soldaten mit kantigem Kinn. Und dazwischen schaute finster Hitler ins Nichts.
Charlotte Munder zeigte auf die schweren Polstersessel vor dem Fenster. »Bitte nehmen Sie Platz.«
Golsten fragte: »Können Sie mir etwas über die Vermisste erzählen?«
»Ich? Über diese Fremdarbeiterin? Wie kommen Sie darauf?« Die Empörung war nicht gespielt.
»Nun, schließlich haben Sie ja mit ihr unter einem Dach gelebt. Da lernt man sich doch etwas kennen, nehme ich an.«
»Wir haben doch nicht miteinander gelebt, Herr Golsten! Diese Polin hat für uns gearbeitet. Ich weiß ihren Vornamen, mehr nicht.« Charlotte Munder griff zu einem Glöckchen und schwang es hin und her. Ein leises Klingeln ertönte. »Möchten Sie nicht doch einen Kaffee?«
Noch bevor Golsten antworten konnte, klopfte es und die junge Polin betrat den Salon. Das Mädchen machte einen Knicks und blieb demütig einige Meter vor der Sitzgruppe stehen.
»Nun? Haben Sie sich entschieden? Kaffee?«
»Na gut. Ja, dann einen Kaffee.«
»Mach zwei Kaffee«, herrschte Charlotte Munder die junge Frau an. »Hast du verstanden? Kaffee!« Sie dehnte das letzte Wort.
Die Bedienstete nickte unterwürfig und verschwand.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, erkundigte sich die Hausherrin.
»Ich fragte, ob Sie mir nicht etwas über die Vermisste erzählen können.«
»Nun ja, sie war faul und unordentlich. Aber das sind ja die meisten Fremdarbeiter, nicht wahr? Ständig muss man aufpassen, dass sie nicht stehlen oder etwas durch ihre Ungeschicklichkeit zerstören. Manchmal denke ich, es wäre weniger Arbeit, wenn ich den Haushalt selbst machen würde, als ständig diesem Gesocks hinterherzulaufen.«
Golsten blickte auf die sorgfältig manikürten Hände seines
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