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Goldfasan

Goldfasan

Titel: Goldfasan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zweyer
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Keine Ahnung.« Er kaute auf seinen Fingernägeln. »Erwin, sach du doch ma wat.«
    Der Angesprochene wirkte plötzlich sehr erwachsen. »Schlägereien mit denen von der Hitlerjugend bringen wirklich nichts.«
    »Sagen dat deine Kommunistenfreunde?«, fragte Karl.
    »Die auch.«
    »Un warum bringt dat deren Meinung nach nix?«, hakte Karl nach. »Die anderen Edelweißpiraten machen dat doch auch.«
    »Eben. Die Kommunisten glauben, wir würden dat allet nur für ’n großes Abenteuerspiel halten. Dat mit den Prügeleien würde uns alle nur gefährden. Dat wär anarchistisch.«
    »Wat is anarchistisch?«, wollte Adolf wissen.
    »Anarchisten lehnen jede Art von Hierarchie ab«, erklärte Hugo oberlehrerhaft.
    »Un dat heißt wat?«
    »Sie wollen nicht, dat Menschen über Menschen herrschen«, fügte Erwin hinzu.
    »Also keinen Drill wie bei der Scheiß-HJ?«
    »Nee. Keinen Drill.«
    »Un auch keinen Hausarrest?«
    »Dat auch nich.«
    Adolf dachte einen Moment nach. »Prima«, verkündete er dann entschlossen und mit ernstem Blick. »Dann will ich auch Anarchist werden.«
    »Mach erst ma die Schule zu Ende.«
    Karl zog seinen kleinen Bruder scherzhaft an den Ohren. »Un dann lern wat Ordentliches. Dann kannze von mir aus Anarchist werden.«
    »Du bis nich mein Vater!«, empörte sich Adolf.
    »Nee. Der liegt anner Ostfront inner Scheiße.«
    Erwin hob plötzlich die Hand. »Seid ma still. Da kommen welche.«
    Aus der Ferne drang leise ein Marschlied an ihre Ohren.
    »Hitlerjungs«, rief Adolf und sprang auf. »Klasse. Gezz gibt’s Dresche.«
    Alle schauten prüfend den Kanal entlang Richtung Westen, konnten jedoch nichts sehen. Der Gesang jedoch wurde lauter.
    »Nee«, meinte Erwin. »Keine HJ. SA!«
    Und tatsächlich trat in diesem Moment ein Trupp SA-Männer aus einem nicht einsehbaren Pfad heraus auf den Weg, der beiderseitig des Kanals verlief.
    »Lasst uns abhauen. Gegen die ham wir keine Chance. Richtung Bladenhorst. Un dann ab inne Büsche.«
    9
    Mittwoch, 31. März 1943
    P eter Golsten beschloss, gleich den Schuster Weydrich aufzusuchen, um ihn über die vermisste Polin zu befragen. Auf dem Weg dorthin sprangen ihm von fast jeder Hauswand und Schaufensterscheibe Plakate des Winterhilfswerks, Aufrufe zu Metall- und Kleidungsspenden und natürlich die Feind-hört-mit-Warnungen entgegen. Auch die Sammelaktionen der diversen nationalsozialistischen Wohlfahrtsorganisationen ließen sich nicht ignorieren. Zwei Mal musste Golsten den obligatorischen Obulus in Büchsen stecken, die ihm von Hitlerjungen entgegengehalten wurden. Wer sich verweigerte, lief Gefahr, als Volksfeind denunziert zu werden. Also spendete eigentlich jeder.
    Nur wenige Männer waren unterwegs, die meisten von ihnen in Uniform. Auch Autos gab es kaum zu sehen, wenigstens die Straßenbahnen verkehrten einigermaßen pünktlich.
    Golsten passierte das, was von der jüdischen Synagoge an der Ecke Hermann-Löns- und Schäferstraße übrig war. Auch in Herne hatten die Nazis im November 1938 gewütet und unter dem Beifallsgejohle der Zuschauer das jüdische Gebetshaus abgefackelt.
    Peter Golsten genoss den Spaziergang an der frischen Luft. Das gab ihm Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Sein Chef Saborski sah in Munder eine zukünftige Parteigröße und wollte ihm deshalb einen Gefallen tun. Nun gut. Aber warum hatte Charlotte Munder die Polizei nicht sofort vom Verschwinden der Polin informiert? Die Erklärung des Bonzen, seine Frau habe ihr Hausmädchen schützen wollen, war zwar nachvollziehbar; aber je länger Golsten über das eben geführte Gespräch nachdachte, desto mehr beschlich ihn das Gefühl, dass ihm das Ehepaar nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Aber warum?
    Das Geschäft Weydrichs befand sich in der Nähe des Bahnhofs. Auch an diesem Schaufenster klebten die üblichen NS-Plakate. Als Golsten die Tür aufzog, signalisierte eine kleine Glocke: Kundschaft. Im Verkaufsraum roch es nach Leder, Klebstoff und Schuhwichse. In gebogenen Holzregalen stapelten sich überwiegend Kinder- und Damenschuhe, die darauf warteten, wieder von ihren Besitzern abgeholt zu werden. Die Herren der Schöpfung mussten sich derzeit mit Knobelbechern begnügen und die stellte der Führer zur Verfügung, dessen millionenfach verbreitetes Foto auch hier an der Wand hinter der Verkaufstheke hing.
    Aus dem Hinterraum näherte sich ein Mann, der weit jenseits der sechzig sein musste. Sein Gesicht war faltig und sein Gang gebückt. Er wischte sich die Hände an einer

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