Goldfasan
wissen.«
Golsten nickte. Es kam nicht selten vor, dass wegen solcher vergleichsweise geringfügiger Vergehen unter Berufung auf die Erlasse vom März 1940 die Todesstrafe verhängt wurde.
»Meine Frau hatte Mitleid mit der Polin. Das können wir ihr doch nicht zum Vorwurf machen, oder?«
Charlotte Munder, die dem Gespräch bisher schweigend gefolgt war, lächelte entschuldigend.
»Nein, natürlich nicht«, stimmte Golsten zu.
Munder zögerte. »Das müssen Sie ja nicht unbedingt in Ihrem Bericht aufführen, Hauptsturmführer.«
»Selbstverständlich nicht, Herr Munder.«
»Danke.«
»Könnte ich jetzt bitte noch den Raum sehen, in dem die Vermisste untergebracht war?«
»Warum?«
»Vielleicht befindet sich ja unter dem persönlichen Besitz ein Hinweis, wohin die Slowacki geflüchtet sein könnte.«
»Das wird leider vergeblich sein, Hauptsturmführer. Wir brauchten die Kammer für das neue Mädchen. Deshalb haben wir alles in den Müll gegeben, was dort noch von dieser Marta herumlag. Aber da war nicht wirklich etwas. Zwei, drei Bücher, ein Wintermantel, das war’s.«
»Sie hat also ihre ganzen Sachen mitgenommen?«
»Ja. Alles. Auch ihren Koffer.«
»Die Kammer befindet sich aber in Ihrem Haus?«
»Ja. Im Keller. Wir haben dort extra einen kleinen Verschlag abmauern lassen.« Munder blickte auf seine Uhr. »Haben Sie noch weitere Fragen, Hauptsturmführer? Ich muss dringend zurück in meine Dienststelle.«
»Ja, eine noch: Seit wann war die Slowacki in Ihrem Haushalt?«
»Da muss ich nachdenken …«
Charlotte Munder schaltete sich ein. »Seit Januar 1942. Das weiß ich genau, denn …«
»Stimmt. Seit Anfang des letzten Jahres«, unterbrach Munder seine Frau. »War es das jetzt?«
»Ja. Wenn ich später noch etwas wissen möchte …«
»Rufen Sie mich an. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
Das Gespräch war beendet. Golsten stand auf und reichte Charlotte Munder die Hand.
»Ich begleite Sie hinaus«, bestimmte Munder und erhob sich ebenfalls.
Als Golsten das Haus verließ, erwartete ihn ein strahlend blauer Himmel. Er zog die Luft ein. »Der Frühling ist da.«
»Ja. Und im Sommer haben wir den Krieg gewonnen«, erwiderte Munder.
Golsten drehte sich wortlos zum Gehen.
»Heil Hitler, Hauptsturmführer«, rief Munder ihm nach.
Der Hauptkommissar hob müde den rechten Arm.
8
Mittwoch, 31. März 1943
D ie fünf Jungen ließen ihre Beine von den Spundwänden des Rhein-Herne-Kanals baumeln. Der älteste war gerade siebzehn und erwartete jeden Tag seinen Einberufungsbescheid, der jüngste noch keine zehn und so unbekümmert, wie es wohl nur ein Kind sein kann.
Trotz der noch mäßigen Temperaturen trugen die drei älteren kurze Lederhosen, weiße Kniestrümpfe, Fahrtenhemden, darüber gestrickte Wollpullis in unterschiedlichen Farben. Auffällig waren die bunten Halstücher, die ihnen ein lässiges Aussehen verliehen.
»Habt ihr die Pinsel verschwinden lassen?«, fragte Erwin, der Älteste der Gruppe.
»’türlich.« Manni, der richtig Manfred hieß, schnippte einen flachen Stein ins Wasser, der mehrmals aufsprang, bevor er versank. »Liegen etwa da, wo gezz der Stein is.«
»Und euch hat keiner gesehen?«, fragte Erwin nach.
»Hör ma, meinze, wir sind bescheuert?« Manni spuckte dem Stein hinterher. »Kein Schwein hat wat gesehen. Allet klar?« Dann fing er an zu kichern und schlug seinem Nachbarn freundschaftlich auf die Schulter. »Du muss abba dat nächste Mal ’n bisken besser im Deutschunterricht aufpassen, Karl. Banditen schreibt ma nämlich mit ’nem d in der Mitte. Und nich mit zwei t.«
»Is doch scheißegal, wie ich Nazi-Banditen schreibe«, meinte der Gerügte. »Weiß trotzdem jeder, wat gemeint is. Hauptsache, dat stand heute Morgen anner Zechenmauer. Konnten alle lesen.«
»Nur nich lange genug. Kurz nachdem dat hell war, ham die dat schon wieder wechgewischt.« Der fünfzehnjährige Hugo beugte sich vor und sah Erwin an. »Dat hat doch allet keinen Sinn. Parolen anne Wände malen, die ’n paar Stunden später wieder wech sind. Wir sollten ma wat anderes machen.«
»Un wat?«, fragte Karl.
»Hitlerjungs verkloppen«, schlug der kleine Adolf vor. »Dat macht wenigstens Laune.«
Einige der Jungen lachten. Einer rief: »Du wirst doch nich ma mit ’nem Pimpf fertig.«
Hugo war ernst geblieben. »Quatsch mit Soße. Dat bringt doch auch nix.«
»Wat denn sonst?«
»Wat weiß ich. Irgendwat Richtiges eben. Wat die nich einfach so wegwischen können.
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