Goldfasan
doch noch? Ich habe deine Mutter bei eurer Verhaftung in Schutz genommen. Und das werde ich wieder versuchen. Also, hilfst du mir?«
»Ich bin kein Verräter«, stieß Erwin hervor.
»Das weiß ich doch. Das Attentat auf den stellvertretenden Kreisleiter interessiert mich nicht. Das ist nicht mein Fall, sondern Sache der Gestapo. Nein, ich weiß, dass du zu den Jungs gehört hast, die tagelang Munders Haus beobachtet haben. Während dieser Zeit ist dort eine polnische Fremdarbeiterin verschwunden. Ich möchte nur von dir wissen, ob du das Mädchen gesehen oder ihm vielleicht sogar bei der Flucht geholfen hast.«
Erwin dachte nach. Dann bettelte er: »Sie werden sich bestimmt um Mama und Opa kümmern?«
»Ich verspreche es dir«, log Golsten erneut.
»Schwören Sie.«
Und Golsten schwor.
»Gut. Wie sah dat Mädchen aus?«
Golsten griff in seine Jackentasche, zog das Foto Marta Slowackis hervor und legte es vor dem Gefangenen auf den Holztisch.
Der schob sich das Bild so zurecht, dass er es greifen konnte. Mit einem leisen Stöhnen hob er es vor seine Augen, schaute es einen Moment an und ließ es dann kraftlos zurück auf den Tisch fallen. »Ja, dat Mädchen hab ich gesehen.«
Golsten war wie elektrisiert. »Wo und wann?«
»Dat war am letzten Tag unserer Überwachungsaktion. Am 24. März. Ich weiß dat deshalb so genau, weil einer meiner Freunde an diesem Tag Geburtstag hatte. Dat war am Abend. Kurz vor zehn. Die Frau wurde von ’nem Wagen abgeholt.«
»Erzähl mir das genauer.«
»Ich sach doch: Ein Wagen fuhr vor dat Haus. Zwei Männer sind ausgestiegen und zur Haustür von dem Nazibonzen gegangen. Sie haben geschellt. Jemand hat aufgemacht und die beiden sind kurz darauf mit der Frau auf dem Foto wieder zum Auto zurück. Da war abba noch einer im Wagen, denn jemand hat eine Wagentür von innen geöffnet. Dann sind se wech.«
»Wie konntest du die Frau erkennen? Es war Nacht und alles verdunkelt.«
»Einer von den Männern hat sich anner Haustür ’ne Zigarette angesteckt. In dem Lichtschein hab ich auch dat Gesicht der Frau gesehen.«
»Kanntest du die Männer?«
Erwin schüttelte nur den Kopf. »Aber die Frau. Die hat sich zwei Nächte vorher mit ’nem Kerl getroffen.«
»Kanntest du den?«
»Nee.«
Auch der Schuster hatte von einem Treffen Marta Slowackis mit einem Mann berichtet. Handelte es sich womöglich um dieselbe Person?
»Na gut. Kommen wir auf den Wagen zurück. Was war das für ein Fahrzeug?«
»Ein Horch PL4.«
»Konntest du das Nummernschild erkennen?«
»Nein. Dat war zu dunkel.«
»Aber mit dem Fahrzeugmodell bist du dir sicher?«
Erwin hob müde den Kopf. »Wat glauben Sie denn? So ’ne Karre sieht man nich alle Tage. Und dann noch als Pullman. Davon gibbet nich viele.«
Erwin Bertelt hatte recht. Die Besitzer eines solchen Modells in Herne und Umgebung dürften sich schnell ermitteln lassen.
»Herr Golsten?«
Am 24. März war die junge Polin also noch im Haus der Munders gewesen. Charlotte Munder aber hatte ausgesagt und auch zu Protokoll gegeben, die Slowacki sei bereits am 23. März verschwunden. Warum hatte sie gelogen?
»Herr Golsten?« Erwin Bertelt riss den Hauptkommissar aus seinen Gedanken. »Es war nur ein Schuss. Hören Sie! Nur einer.«
»Was?«
»Schon gut. Sie helfen Mama und Opa?«
Golsten stand auf und klopfte an die Zimmertür. Der Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Tür öffnete sich. »Abführen«, befahl er den Wachtmeistern.
Brutal griffen die Uniformierten zu und zogen Erwins Arme auf den Rücken. Der Junge schrie vor Schmerzen auf.
Als die Schließer Erwin an Golsten vorbei Richtung Flur schleiften, warf er dem Hauptkommissar einen bittenden Blick zu. Golsten wandte sich ab. Doch zu spät. Der Junge hatte die Lüge in den Augen des Hauptkommissars erkannt.
»Sie Mistkerl!«, rief er, als er durch die Tür gezerrt wurde.
»Schnauze!«, brüllte einer der Wachtmeister und schlug mit dem Knüppel zu.
»Sie sind ein Schwein!«, kreischte Erwin voller Wut und Enttäuschung und fing sich einen weiteren Hieb ein.
Schwer atmend schloss Golsten die Tür zum Vernehmungszimmer. Er wusste, dass er den Jungen nicht wiedersehen würde.
43
Donnerstag, 22. April 1943
H ermann Treppmann überfiel seinen Schwiegersohn, kaum dass dieser das gemeinsame Haus betreten hatte.
»Peter, ich muss mit dir reden.«
Golsten zog seine Jacke aus. »Das muss ja wichtig sein, wenn du mich schon im Flur abpasst. Worum geht es?«
Treppmann holte tief
Weitere Kostenlose Bücher