Goldfasan
glückt.«
»Das ist …« Golsten machte eine abwehrende Handbewegung, drehte sich um, schob seinen Schwiegervater beiseite und stapfte an seiner Frau vorbei ins Wohnzimmer.
Lisbeth Golsten hob die Jacke auf. »Du hast gewonnen«, flüsterte sie ihrem Vater zu. »Er wird ihn nicht verraten.« Sie folgte ihrem Mann.
Eine Stunde später hockte Golsten auf dem Holzblock. Ihm gegenüber saß Heinz Rosen. Hermann Treppmann stand schweigend neben den beiden.
»Sie wollten mich sprechen«, begann Golsten die Unterredung mit eisiger Stimme.
»Ja.«
»Was wollen Sie?«
»Ich werde Sie heute noch verlassen. Sie können auf Ihre Familie stolz sein.«
Golsten sog hörbar die Luft ein. Er stand kurz davor, erneut die Beherrschung zu verlieren. »Reden Sie schon.«
»Es geht um Erwin Bertelt. Sie wissen, wen ich meine?«
»Natürlich. Was ist mit ihm?«
»Er hat Munder nicht erschossen.«
»Sagt ein jüdisches U-Boot. Woher haben Sie diese Erkenntnis?«
»Lassen Sie es mich so formulieren: Freunde haben mir das erzählt.«
»Ach?«, spottete Golsten.
»Ja.« Rosen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er ahnte, unter welcher Anspannung Treppmanns Schwiegersohn stand. »Es ist richtig, dass sich Erwin an dem fraglichen Abend vor Munders Haus aufhielt. Aber er wollte dem Nazibonzen nur einen Schreck einjagen.«
»Und deshalb hat er auf ihn gefeuert?«
»Ein Mal, ja. Er hat einen Schuss abgegeben und bewusst daneben gezielt.«
Golsten fielen plötzlich Erwins Worte ein, an die er keinen weiteren ernsthaften Gedanken verschwendet hatte. Es war nur ein Schuss, hatte der Junge gesagt.
»Als Erwin weglief, hat Munder noch gelebt. Er hat um Hilfe gerufen, dann hat Erwin Schritte gehört. Und dann fiel der zweite Schuss. Der muss Munder getötet haben. Erwin jedenfalls ist kein Mörder!«
»Unterstellen wir, dass tatsächlich zwei Schützen vor Ort waren. Munder wurde zunächst am Oberarm getroffen. Wie verträgt sich das mit Bertelts Behauptung, er habe daneben geschossen?«
»Der Junge kann doch mit einer Pistole überhaupt nicht umgehen. Munder hat einfach Pech gehabt. Oder Erwin Glück. Wie Sie wollen.«
Golsten dachte über das Gehörte nach. Und über das, was er über das Auto herausgefunden hatte. Sollte tatsächlich von Schmeding …
Rosen unterbrach seine Überlegungen. »Sie können doch sicher feststellen, ob die Kugeln, die auf Munder abgefeuert wurden, aus ein und derselben Waffe stammen, oder?«
Golsten antwortete nicht. Natürlich, eine ballistische Untersuchung der Projektile. Das Geschoss aus Munders Kopf war während der Obduktion sichergestellt worden. Soweit er wusste, suchten seine Kollegen noch nach dem zweiten Geschoss. Das würde die Frage nach der Waffe zweifelsfrei beantworten.
Wenn Erwin die Wahrheit sagte, hatte Saborski ihn, Golsten, tatsächlich deshalb vom Fall Munder ferngehalten, um den Mord an einem NS-Funktionär durch seinen Adjutanten zu vertuschen.
»Und noch eines. Um Munder ist es nach meiner Meinung nicht schade. Der Mann ging über Leichen und hat sich, wo er nur konnte, an seinen Opfern bereichert. Aber darüber hinaus hat Munder wirklich alle betrogen. Sogar seine eigene Frau.«
»Wie meinen Sie das?«
»Munder war maßlos. Auch bei meiner Freundin hat er es versucht. Sie ist Jüdin. Muss ich deutlicher werden?«
Golsten verstand, was Rosen meinte. Und auf einmal konnte er sich vorstellen, wer Marta Slowacki und ihr Kind ermordet hatte. Und warum. Doch wie sollte er diese Vermutung beweisen?
In dieser Nacht plagte Golsten ein Albtraum, der ihn lange Jahre daran erinnerte hatte, wie er im Großen Krieg vor Verdun – um sein eigenes Leben zu retten – einen deutschen Soldaten in das Giftgas gestoßen hatte, dem sicheren Tod entgegen.
Nur war der Traum heute plastischer als früher. Das Gesicht des namenlosen Soldaten blieb nicht konturlos und verschwommen wie sonst. Das Gesicht trug abwechselnd die Züge Erwin Bertelts und Heinz Rosens. Und noch etwas war anders: Das Gesicht rief nicht wie früher Mutter, sondern laut und vernehmlich Mörder!
44
Freitag, 23. April 1943
W ilfried Saborski verspürte kein schlechtes Gewissen, im Gegenteil. Munders Tod beschäftigte ihn nicht, Saborskis Schlaf war ausgezeichnet. Er hatte Befehle befolgt, mehr nicht. Wer wollte ihm einen Vorwurf machen?
Etwas Kopfzerbrechen bereitete ihm allerdings die Frage, wie es ihm gelingen sollte, das Projektil aus der Waffe des Attentäters mit dem aus der Walther zu vertauschen, die von
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