Goldfieber
Krieger auf den Platz zugerannt. Sie schwenken ihre Waffen, sie überrennen unsere Trupps, die dieZugänge abriegeln sollten, sie dringen mit ihren schwarz gezähnten Schwertern auf unsere Männer ein. Doch umso klarer ist nun, dass die Tausende Tänzer, die abgeschlachtet am Boden liegen, allesamt unbewaffnet waren!
Die Krieger reißen Pfähle aus dem Boden, nutzen sie als Lanzen oder Speere und drängen Alvarado und seine Männer, Xicotencatl und die tlaxcaltekischen Krieger zu unserem Palast hin zurück. Hagel von Pfeilen gehen auf sie nieder, Steine prasseln von den Dächern auf sie herunter und in das Donnern der Kriegstrommeln mischen sich Wut- und Schmerzensschreie – auch von Alvarado selbst! Gerade noch kann ich sehen, wie er, von einem Stein an der Stirn getroffen, sich vornüberkrümmt. Dann heben seine Männer ihre Schilde, decken ihren Anführer und ziehen sich fluchtartig in den Palast zurück. Ein Kanonenschuss donnert, und diesmal sind es die Azteken, die Schreie ausstoßen, vor Schreck oder Schmerzen, während aus der Vorderseite der turmartigen Pyramide uns gegenüber Mauerbrocken auf den Platz herunterpoltern. Unter mir geht das Tor krachend zu, und bis in mein Gefängnis herauf höre ich Alvarado mit überkippender Stimme schreien: »Wo ist der Wundarzt? Ich blute wie ein Schwein!«
Als ich wieder nach draußen schaue, wird mir klar, dass sich die Azteken mit unserem Rückzug keineswegs zufriedengeben. Im Laufschritt tragen sie Dutzende Leitern herbei und lehnen sie gegen die Palastwand. Schon kommen die Ersten von ihnen mit katzenartiger Raschheit die Leitern emporgeschnellt. Unsere Gewehr- und Armbrustschützen nehmen sie durch die Fensterluken ins Visier, Schüsse krachen, Pfeile schwirren mit stählernem Sirren durch die Luft.
Wenigstens zehn Angreifer stürzen getroffen von den Leitern oder fallen mit ihren hölzernen Gestellen um. Aber noch ehe die Verteidiger nachgeladen haben, sind die Leitern schon wieder aufgerichtet und wieder klettern Dutzende Krieger an unsererPalastwand hoch! Dann abermals Schüsse, Schreie, umstürzende Leitern – doch etliche Krieger haben es diesmal bis zu einer Fensterluke geschafft! Sie klammern sich an den Waffen, den Armen, den Hälsen unserer Männer fest, reißen sie durch die Fenster nach draußen oder lassen sich ins Innere unserer Festung ziehen. Und während die Leitern aufs Neue aufgerichtet werden, eine weitere Welle von Angreifern an ihnen emporklimmt, kommen von der Mitte des Platzes her Hunderte von Kriegern herbeigerannt – brennende Fackeln in der Hand!
Sie werden unseren Palast anzünden, genau wie Xicotencatl und die anderen Azteken es vorausgesagt haben! Es ist aus mit uns, schießt es mir durch den Kopf, vor allem aber ist es aus mit mir! Ich bin hier oben gefangen, und wenn sie den Palast anzünden, komme ich in den Flammen um!
Ich stürze zur Tür, schlage mit meinen Fäusten dagegen und schreie wie von Sinnen: »Alvarado! Zu Hilfe! Hört mich denn keiner? Lasst mich hier raus!«
Niemand antwortet mir. Irgendwann höre ich auf, zu schreien und meine Fäuste am Türholz blutig zu schlagen, und sacke kraftlos zu Boden. Die Trommeln von der Großen Pyramide, die Kriegs-, Wut- und Schmerzensschreie, das Krachen der Schüsse und nun auch noch das Prasseln von Feuer – das alles zusammen erzeugt einen so höllischen Lärm, dass mich sowieso niemand hören könnte. Mir bleibt nur noch die Wahl, hier drinnen zu verbrennen oder am Rauch zu ersticken – oder mich kopfüber aus dem Fenster zu stürzen, in der jämmerlichen Hoffnung, dass ich mir zumindest das Genick brechen werde! Dann bekommen sie mich wenigstens nicht lebend, sage ich mir, dann können sie mir immerhin nicht das Herz aus der Brust reißen und an ihren Götzen verfüttern – jedenfalls nicht, solange es noch schlägt!
Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür und lasse meinen Kopf auf die Brust sinken. Carlita!, denke ich. Geliebte Carlita! Hoffentlich konntest du dich in Sicherheit bringen!
»Orteguilla«, wispert es irgendwo in meiner Nähe. Zuerst glaube ich, dass ich träume oder vor Angst den Verstand verloren habe. »Orte!«, flüstert es von einem Loch in der linken Seitenwand her, das eben noch ganz bestimmt nicht vorhanden war. »Liebster, komm schnell!«, ruft es leise aus dem Loch. Es ist Carlitas Stimme, kein Zweifel, aber wie kann das nur sein?
Ich rappele mich auf und trotte zu dem Loch hinüber. Es befindet sich knapp über dem Boden und tatsächlich
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