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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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schaut mich Carlita durch die Öffnung an. Ihre Haare sind voller Staub und Spinnweb, aber sie ist es, sie ist wirklich da!
    Ich werfe mich vor dem Loch – vor ihr – auf die Knie. Neben mir entdecke ich eine runde Scheibe am Boden. Sie ist von der einen Seite so weiß getüncht wie die Zimmerwand und von der anderen aus altersdunklem Holz. »Carlita!«, stammele ich. »Wie kommst du da hinein? Was hast du vor?«
    Draußen krachen Schüsse, gellen Schreie. Die Trommeln grollen. Rauchschwaden wabern durch das Fenster herein. Abermals fliegt das Tor krachend auf – unsere Männer unternehmen einen weiteren Ausfall!
    »Schnell, Orte!«, sagt Carlita wieder. »Das hier ist einer der Geheimgänge – ich habe dir doch davon erzählt! Diese Kammer hier muss früher einmal zu den königlichen Gemächern gehört haben – und die sind alle an die Geheimgänge angeschlossen, damit unser König heimlich Boten empfangen oder notfalls auch selbst unbemerkt kommen und gehen kann.«
    Ich starre sie aus großen Augen an. Vor Erstaunen vergesse ich einen Moment lang sogar meine Angst. »Alle königlichen Gemächer haben Zugang zu diesen Geheimgängen?«, frage ich und deute zur Decke hinauf. »Auch die Zimmer im dritten Stock, in denen Montezuma gefangen ist?«
    Carlita nickt und wirkt nun ein wenig schuldbewusst. »Komm jetzt Orte!«, sagt sie erneut. »Und verschließe hinter dir wieder den Zugang! An der Rückseite des Deckels ist ein Griff.«
    Sie verschwindet wieder in dem Wandloch. Rasch stopfe ich noch die bekritzelten Blätter, Feder und Tintenfass in mein Bündel, dann folge ich ihr mit den Füßen voran. Im letzten Moment ergreife ich den Deckel und setze ihn in die Wand ein, wie Carlita es mir aufgetragen hat.
    Jetzt ist es stockdunkel. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob das hier ein Traum ist oder ob Carlita wirklich gekommen ist, um mich zu retten. Doch der Knotenstrick, an dem ich hinter ihr abwärtsklettere, fühlt sich vollkommen echt an. Genauso wie der runde Schacht aus Holz, der uns umschließt. Mir wird langsam klar, dass wir uns im Innern eines ausgehöhlten Baums befinden. Carlita hat mir schon früher einmal erzählt, dass die Paläste der Azteken meist doppelte Außenwände besitzen und die Hohlräume dazwischen als Verstecke oder einfach als Lager für allerlei dienen. Da liegt es natürlich nahe, diese Zwischenräume auch für geheime Verbindungen zwischen den Etagen zu benutzen – auch wenn es eine seltsame Vorstellung ist, dass ein königlicher Bote oder sogar der König selbst an so einem Knotenstrick heimlich durch den Palast turnt.
    Als wir unten angekommen sind, umarmt und küsst mich Carlita. Doch sie löst sich gleich wieder von mir und flüstert mir ins Ohr: »Wir sind jetzt unter dem Palast. Hinter mir führen Stufen zu einem weiteren Geheimgang hinab. Der zieht sich unter dem ganzen Herzen Unserer Welt hindurch. Aber er ist eng und modrig und stellenweise müssen wir kriechen.«
    »Wohin bringst du mich?«, frage ich sie.
    »Dorthin, wo ich glücklich war«, gibt Carlita zurück. »Und wo auch wir beide glücklich sein werden – zumindest für kurze Zeit.«
    Sie nimmt mich bei der Hand und zieht mich hinter sich her.
- 4 -
    »Wo sind wir hier, Carlita?«, frage ich. Dabei ahne ich, was sie antworten wird, aber ich will es aus ihrem Mund hören.
    Kaum eine Stunde ist vergangen, seit sich jenes Loch in meiner Kerkerwand aufgetan hat. Groß und glühend rot schwebt die Abendsonne über den Baumwipfeln, die ineinander verflochten sind zu einem Dach aus Blättern und Schatten, Ästen und Licht. Singvögel schwirren zwischen blühenden Büschen umher. Eine Quelle, glasklar bis zum sandigen Grund, lädt zum erfrischenden Bad ein. Daneben erhebt sich ein rußschwarzer Steinsockel mit einem kleinen Tempelbau darauf, dessen Außenwände gleichfalls brandgeschwärzt sind. Doch durch das lückenhafte Dach fällt Sonnenlicht ins Innere des Tempels und sein Widerschein ist strahlend hell und rein.
    »Beim Xochiquetal-Tempel natürlich.« Carlita führt mich die Stufen hoch zur Tür und bleibt vor der Schwelle stehen. »Wirf einen Blick hinein«, sagt sie, »damit du dich schon einmal freuen kannst!«
    Der Altartisch ist mit Blumen übersät. Daneben steht ein hölzernes Bildnis der Göttin, anmutig lächelnd, mit Blumengirlanden geschmückt. Auch der Boden um den Altar herum ist mit Blumen bestreut und mitten im Raum befindet sich ein üppiges Lager aus duftendem Heu.
    »Die goldene Göttin ist

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