Goldfieber
lassen.«
»Er hat was gemacht?« Ich stöhne auf und fahre herum. »Das ist Wahnsinn!«, rufe ich aus. »Alvarado zwingt sie ja förmlich dazu, uns anzugreifen! Vielleicht waren sie noch gar nicht sicher, ob sie uns wirklich überfallen sollen. Aber wenn ihr anfangt, Mitglieder der Königsfamilie zu foltern und aus den Fenstern zu werfen – was bleibt ihnen da noch anderes übrig?«
Das Gesicht des Soldaten verhärtet sich zu einer Maske aus Stein. »Wenn du einen guten Rat hören willst – halte besser deinen Mund!«, knurrt er. »Alvarado ist im Augenblick ziemlich aufbrausend – am Ende lässt er dich noch aus dem Fenster schmeißen!«
Damit dreht er sich um und hinter ihm kracht die Tür zu. Er schiebt einen Balken vor und dann auch den zweiten. Kurzdarauf höre ich, wie sich seine Schritte, gedämpft durch Felle und Baumwollmatten, über den Flur entfernen. Und da schießt wieder die Angst in mir hoch: Sie lassen mich hier zurück! Eingesperrt in dieser Kammer, obwohl sie glauben, dass die Azteken unseren Palast anzünden werden! Sie wollen, dass ich hier umkomme – damit ich unserem Herrn nicht erzählen kann, was Alvarado angerichtet hat! Aber was hat der »Durchtriebene« überhaupt vor?, frage ich mich dann. Vielleicht will er sich ja mit seinen Getreuen aus dem Staub machen – mitsamt den unermesslichen Goldschätzen, die Cortés in unserer Obhut zurückgelassen hat?
So brüte ich vor mich hin, bekritzle meine schwindenden Papiervorräte mit sinnlosen Grübeleien und kaue zwischendurch an meiner kargen Mahlzeit herum. Die Sonne beginnt bereits wieder gen Westen zu sinken und unten vor unserem Palast ist nach wie vor nichts Ungewöhnliches zu sehen. Keine Aufmärsche von schwer bewaffneten Soldaten, keine Kanonen, die auf rumpelnden Rädern aus dem Tor geschoben werden, keine Ritter auf schnaubenden Pferden – nichts!
Drüben bei der Großen Pyramide aber kommt das Götzenfest mehr und mehr in Schwung. Neben »Huitzilopochtlis Esstisch« lodern zahlreiche Feuer, ebenso oben bei den Tempeln, wo unser gigantisches Holzkreuz zwischen den Qualmschwaden verschwindet. Um die Pyramide herum haben sich Tausende Azteken versammelt – ob auch bewaffnete Krieger unter ihnen sind, kann ich von meinem Ausguck aus nicht erkennen. Jedenfalls tanzen sie alle zum aufpeitschenden Klang der Trommeln und Muscheltrompeten, der Rasseln und Knochenflöten – unablässig tanzen sie um die Pyramide herum und bald schon überall auf dem Platz. Sie tanzen sich in Trance, kommt es mir vor – sie werfen ihre Arme in die Luft, sie zucken und winden sich und stoßen dabei Töne hervor, die dumpf und kehlig klingen wie aus der Tiefe eines Traums.
Und dann plötzlich geht unter mir das Palasttor auf und unsere Männer kommen auf den Platz marschiert. Auch das zweite Tor fliegt auf und die Tlaxcalteken stürmen in wilder Unordnung hervor. Mit Alvarado an der Spitze eilt der größte Trupp unserer Männer zur Pyramide hinüber, drei kleinere Abteilungen marschieren zu den Zugängen zum Herz Unserer Welt und riegeln sie ab.
Alvarado zieht im Laufen sein Schwert und die anderen machen es ihm nach. Ohne irgendwelche Umschweife greifen sie die Tanzenden an. Das ist kein Kampf, es ist ein Massaker – die Azteken sind in Trance, sie tanzen einfach weiter, sie zucken und winden sich, und währenddessen mähen Alvarado und die anderen sie mit ihren Schwertern um. Sie fallen wie Halme unter der Sense des Schnitters, jeder Schwerthieb haut gleich mehrere von ihnen entzwei. Abgeschlagene Köpfe und Arme wirbeln umher. Enthauptete Rümpfe, mit einem mächtigen Schlag von den Beinen heruntergehauen, torkeln durch die Luft und fallen krachend zu Boden.
Ganz allmählich erst, nachdem Hunderte von ihnen niedergemäht worden sind, erwachen die anderen Tänzer aus ihrer Trance. Die Trommeln und Flöten sind verstummt und für einen langen, schrecklichen Augenblick sind nur die Schreie der Sterbenden, das Keuchen der Kämpfer und jener grässliche Klang zu hören, mit dem Stahl durch lebendige Leiber fährt. Ein Schleifen und Knacken, grauenvoller als jedes andere Geräusch. Dann setzt von den Tempeln hoch oben auf der Pyramide ein mächtiges, donnerndes Grollen ein. Es klingt wie der Herzschlag eines Riesen, der aus tiefem Schlaf erwacht. Auch wenn ich diese gewaltige Trommel niemals vorher vernommen habe, ist mir auf der Stelle klar, was ihr zorniger Ruf besagt: Greift zu den Waffen, eilt herbei – es ist Krieg!
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