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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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was sie tatsächlich waren: minderwertiger Kram.
    Doch anders als die Maya in Potonchan tauschten die Totonaken ihre goldenen Statuetten und Teller, Ketten und Armreifen bereitwillig ein. Zu Hunderten kamen sie aus der nahen Hafenstadt und aus den umliegenden Dörfern herbeigeströmt und stellten sich geduldig vor den Tischen an. Von den Gesichtern unserer Männer konnte ich ablesen, wie rasch und unaufhaltsam in ihnen das Goldfieber stieg. Ebenso verrieten mir die Gesichter der Totonaken, dass sie von unseren Tauschgaben wenig angetan waren – und doch wechselten sie ohne Murren ihre Goldschätze gegen wertlose Glasperlen oder fadenscheinige Strümpfe ein.
    Wir sahen ihnen dabei zu und irgendwann sagte Malinali mit gedämpfter Stimme etwas auf Chontal. Aguilar schaute sie verwundert an. Erst auf ein Zeichen von Cortés hin begann er, ihre Worte zögernd zu übersetzen. Schließlich war sie nur eine Sklavin, überdies eine »verlauste Wilde« – jedenfalls in den Augen der meisten unserer Männer. Bestimmt zerrissen sie sich hinter Cortés’ Rücken sowieso schon ihre Mäuler, weil er den Dolmetscherdiensten einer Indianerin vertraute. Doch Malinali wollte sich anscheinend nicht mit ihrer Rolle als Übersetzerin begnügen. Ohne irgendwen um Erlaubnis zu fragen, ergriff sie von sich aus das Wort – und Cortés hatte offenbar nichts dagegen!
    »Die Totonaken sind voller Zorn und Hass auf die Azteken, Herr«, sagte sie und schaute Cortés erneut mit leidenschaftlich glühenden Augen an. »Sie würden Euch alles geben, was sie entbehrenkönnen – wenn Ihr ihnen nur helft, Montezuma zu besiegen!«
    Ganz genau wie sie selbst, durchzuckte es mich. Mit traumhafter Sicherheit muss Cortés bei jenem Gespräch ihr Herz ergründet haben. Malinali ist nicht nur stolz und klug – sie ist auch voller Zorn auf ihr eigenes Volk, die Azteken! Auf ihr Land, in dem sie, eine Fürstentochter, von ihrer eigenen Mutter in die Sklaverei verkauft wurde. Und diese Wut, die in ihr kocht, weil sie von ihren eigenen Leuten verraten und verstoßen worden ist – die macht sie zur idealen Verbündeten unseres Herrn! Malinali weiß mehr als viele andere über Bräuche und Denkungsart in ihrer alten Heimat, und sie ist von Herzen gern bereit, dieses Wissen preiszugeben – wenn Cortés es nur dazu nutzt, den Azteken zu schaden.
    Diese Gedankenfetzen wirbelten mir durch den Kopf, während Cortés ihr nur einen raschen Blick zuwarf und dann wie gedankenverloren nickte. Ich empfand Stolz auf mich selbst, weil es mir gelungen war, auch dieses Geheimnis zu ergründen – doch dann kam mir ein weiterer Gedanke und mein Atem stockte.
    Hat mich Cortés etwa aus dem gleichen oder zumindest aus einem ganz ähnlichen Grund erwählt wie Malinali?, fragte ich mich. Weil er auch in mir jenen Zorn erspürt hat, der mich in dunklen Stunden überkommt – den verzehrend heißen Zorn auf mein Schicksal als Drittgeborener? Auf meinen Bruder Leonel, der nur ein paar Minuten vor mir auf die Welt gekommen ist und mir so den Platz versperrt hat, der eigentlich mir zusteht – mir, mir, einzig und allein mir? Oh mein Gott!, dachte ich und presste die Zähne aufeinander. Ich hatte nie mit ihm darüber gesprochen, ihm niemals anvertraut, wie ich in jenen schwarzen Augenblicken fühlte – und doch erkannte ich jetzt, dass er von Anfang an gerade das in mir erspürt haben musste: die Bereitschaft, mich durch einen ungeheuren Verrat zu rächen.
    So grübelte ich vor mich hin, während um uns herum UnmengenGold gegen minderwertigen Klimperkram eingetauscht wurden. Erst als ich eine Hand an meinem Unterarm spürte, schreckte ich aus meinen Gedanken auf.
    Ganz nah vor mir stand Cortés. Er schaute mich nicht an, sondern hatte seinen Oberkörper zur Seite gedreht und sprach mit Sandoval. Von der Seite her spürte ich zudem Carapitzlis Blick auf mir, und einen Moment lang schien es mir, als wäre dies beides zusammen mehr, als ich aushalten könnte. Als ob sie im Begriff wären, mich entzweizureißen und jeder eine Hälfte von mir mit sich davonzutragen.
    »Sorgt dafür, dass niemand auf eigene Faust mit den Indianern Handel treibt!«, rief Cortés dem »Tollkühnen« zu.
    Sandoval nickte lachend zurück. »Geht klar!«, rief er zurück. »Wer sich nicht daran hält, wird geköpft!«
    Er lachte noch lauter. Ich fragte mich, ob er deshalb lachte, weil die Drohung nicht ernst gemeint war – oder im Gegenteil, um ihren tödlichen Ernst ein wenig abzumildern. Doch gleich darauf

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