Goldfinger
ruhige, abendliche See hinaus und lächelte vor sich hin.
Um sechs Uhr, nach einem großen Wodka mit Tonic an der Bar, fuhr Bond langsam nach Reculver hinüber. Er genoß den Abend, den Drink und horchte zufrieden auf das leise Blubbern des Doppelauspuffs. Er war unbewaffnet, und Goldfinger würde das wissen. Beim Abschied im Golfclub war Goldfinger sogar herzlich gewesen, in einer gezwungenen, glatten Art. Wohin er Bonds Gewinn schicken solle? Bond hatte ihm die Adresse von Universal gegeben. Und wo Bond derzeit wohne? Er hatte ihm auch das gesagt und hinzugefügt, er werde nur ein paar Tage in Ramsgate bleiben, um sich über seine Zukunft schlüssig zu werden. Goldfinger hatte Hoffnung auf ein Revanchematch ausgedrückt, aber er fahre morgen nach Frankreich und wisse noch nicht, wann er zurück sein werde. Er fliege mit der Luftfähre von Lydd aus.
Bond hatte sich den Fahrer angesehen: ein untersetzter, flachgesichtiger Japaner oder Koreaner mit einem wilden, beinahe irren Funkeln in den Schlitzaugen und einer Oberlippe, die einen Wolfsrachen zu verdecken schien. In dem zum Platzen engen schwarzen Anzug und der lächerlichen Melone sah der Mann aus wie ein japanischer Ringer, der frei hat. Dennoch wirkte er keineswegs lächerlich, im Gegenteil, eher unheimlich, wozu die schwarzen Autohandschuhe wesentlich beitrugen. Bond mußte ihn schon gesehen haben! Aber erst als der Wagen schon fuhr, war es ihm eingefallen: Heute mittag hatte er auf der Straße nach Herne Bay einen blauen Ford Populär überholt. Es war derselbe Fahrer gewesen. Was hatte der dort zu suchen gehabt? War das vielleicht der Koreaner, von dem der Colonel gesprochen hatte? Der aus Goldfingers Filialen das Gold abholte? War der Kofferraum des unschuldig dahinzockelnden kleinen Autos mit dem Wocheneingang an altem Goldschmuck gefüllt gewesen?
Bond bog in die Zufahrt ein und erreichte den Kiesweg vor dem Anwesen, das nicht zu Unrecht der Gutshof genannt wurde: Häßlich und plump präsentierte es sich als ein villenartiges Gebäude aus der Jahrhundertwende mit seitlich verglastem Säulenvordach und einer Glasveranda, deren Anblick schon den Geruch nach eingeschlossenem Sonnenschein, verstaubten Gummibäumen und toten Fliegen erweckte. Bond stellte den Motor ab, stieg langsam aus und blieb vor dem Haus stehen, dessen gläserne Augen auf ihn herabstarrten, während aus dem Hintergrund etwas wie der starke und rasche Pulsschlag eines Riesentieres vernehmbar war. Vermutlich die Fabrik, deren rauchender Riesenfinger zur Rechten drohend hinter den hohen Koniferen emporragte, wo man sonst Stallungen und Wagenschuppen vermutet hätte.
Den unguten Eindruck abschüttelnd, stieg Bond die wenigen Stufen zur Profilglastür hinauf und drückte den Klingelknopf. Kein Laut. Die Tür ging langsam auf, und der Koreaner, die schwarze Melone noch immer auf dem Kopf, wies mit ausgestrecktem Arm in die dunkle Halle.
Sie diente als Wohnraum. Ein dürftiges Feuer flackerte hinter den Feuerböcken im breiten Kamin, zwei Clubfauteuils und ein Sofa standen unbenutzt davor. Dazwischen, auf niedriger Sitzbank, ein mit Drinks gutbestücktes Servierbrett. Der viel zu große Raum mit schweren Rothschildmöbeln umschloß dieses Fünkchen Leben, in dessen dünnem Geflacker die vergoldete Bronze und all das Schildpatt, Messing und Perlmutt in düsterem Reichtum erglänzten. Hinter dieser musealen Wohlgeordnetheit reichte dunkles Getäfel bis an eine Galerie im ersten Stock, zu der man über die geschwungene Treppe zur Linken gelangte. Über allem hing das dunkle, massive Schnitzwerk der stilechten Deckentäfelung.
Bond stand noch da und nahm das alles in sich auf, als der Koreaner stumm auf ihn zukam. Sein Arm wies steif auf Tablett und Fauteuils. Bond nickte, blieb aber stehen. Der Koreaner verschwand lautlos auf der anderen Seite. Die Stille, gesteigert durch das langsame Ticken der prunkvollen Großvateruhr, verdichtete sich und kroch näher.
Bond trat zum Kamin, mit dem Rücken zum Feuer. Ein scheußlich ungemütliches Heim! Wie konnte nur jemand in dieser überladenen Leichenhalle leben, eingeschlossen zwischen Nadelbäumen und Immergrün, wo es doch gleich nebenan Luft, Licht und weiten Himmel gab? Bond griff nach einer Zigarette. Kannte Goldfinger überhaupt Unterhaltung, Vergnügen, Liebe? War ihm die Jagd nach dem Gold genug?
Ein Telefon! Nach zweimaligem Läuten wurde abgehoben, man hörte Stimmengemurmel, Schritte über den Gang, und dann ging die Tür unter der
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