Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Ich scheine tatsächlich eine Glückssträhne zu haben.
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Von einer angenehmen neuen Munterkeit überwältigt kam ich zu Hause an, nachdem ich mich vorher von Raik verabschiedet und seinen Vorschlag, mich heim zu fahren, abgelehnt hatte. Wir einigten uns aber darauf, dass er mich am nächsten Samstag von zu Hause abholen und zum Ball auf die Taubeninsel bringen würde. Als ich das Zimmer betrat, erschrak ich, denn auf der grau im Halbdunkel der Nacht vor mir liegenden frischgestrichenen Wand gewahrte ich etwas Dunkles, das dort wie ein Schatten lauerte. Nervös betätigte ich den Lichtschalter und trat näher an die Wand heran, ohne das Ding gleich einordnen zu können. Nach einem kurzem Moment erkannte ich, dass es sich einfach um einen schwarzen Fleck handelte, an eben derselben Stelle, wo sich das Puppenversteck befunden hatte. Öliger Staub benetzte meine Fingerspitzen, als ich darüber strich. Doch die Tatsache, dass es sich nur um einen Fleck handelte, beruhigte mich keineswegs, wie jeder Leser sicherlich nachempfinden kann, denn es war mir ein Rätsel, wie dieser entstanden sein konnte. Ich hatte jeden Staub von der Wand entfernt und jede Ritze zugespachtelt. Völlig unmöglich, dafür eine Erklärung zu finden. Auch der Fleck auf dem Teppich war wieder dunkler und etwas größer geworden, nun fast schwarz. Obwohl sich ein leiser, stiller Ärger über das Zuschanden machen aller Arbeit und Bemühungen in meinem Herzen rührte, überwog ein eisiger Schrecken. Krampfhaft versuchte ich eine ganze Weile, nicht mehr auf diese Stelle an der Wand zu schauen, doch je mehr ich es versuchte, um so mehr musste ich daran denken und bald konnte ich gar nicht anders, als genau dorthin zu starren. Deshalb hielt ich kurzerhand nochmals einen breiten Malerpinsel in meiner zittrigen Hand und übertünchte in großzügig aufgetragenen Bahnen den mysteriösen Fleck. Jetzt lag die Wand in neuerlicher jungfräulicher Weiße vor mir. Ich spülte die letzten Farbreste von meinen Händen und die Schweißperlen von meiner Stirn, dann begab ich mich zur Ruhe. Ein orangeroter Vollmond, der am Himmel wie ein würziger Käse in einer riesigen Mausefalle hing, schaute zum Fenster herein und legte eine perlende Lichtspur quer in den Raum. Ihr folgte ich bis hinein in das Herz des Universums, wo ich tanzend die Leere fing und funkelnde Sterne daraus formte...
Durch die glitzernde Schwärze schwebte langsam ein Gesicht heran. Ich kannte es. Ich wusste, ich hatte es schon einmal gesehen. Es war böse und grausam. Vielleicht das Gesicht eines Kriegers, doch durch das lange, wallende Haar hindurch sah ich kleine Perlenohrringe blitzen. Es scheint zu mir zu sprechen, seine Lippen bewegen sich und wiederholen immer wieder dieselben Worte. "Sophia Alexejewna", hallt es lautlos in meinem Kopf, ohne Unterlass, bis ich die Augen öffne. „Sophia Alexejewna“, sage ich und warte.
Ich wartete und es geschah nichts. Nicht die geringste Regung kroch mit dünnen Füßen in mein Bewusstsein. Der Name war mir völlig unbekannt. Kopfschüttelnd schaute ich auf den Wecker. Ich überlegte, ob ich mich noch einmal umdrehen und weiterschlafen sollte, doch eine frühe Amsel nahm mir die Entscheidung ab, indem sie ohrenbetäubend in den höchsten Tönen trällerte. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Stattdessen döste ich ein klein wenig vor mich hin und ließ mir den Traum durch den Kopf gehen. Seltsam, dass ich ihn in fast ähnlicher Form gleich zwei Nächte hintereinander geträumt hatte. Ob das wohl eine Botschaft für mich war? Ich dachte ebenfalls wieder an die unerklärbare Sache des gestrigen Abends.
Insgesamt fühlte ich mich viel zu beschwingt, um mir lange den Kopf zu zerbrechen. Das nahende Ziel verlockte zu gesammelter Aktivität und nach einem kleinen Anlauf in Form eines kurzen Frühstücks, sah ich mich bald wieder zebragestreift auf meiner Bühne, um die letzten Feinarbeiten an Fenstern und Kanten zu verrichten. Aufgrund eines plötzlichen Gute-Laune-Hochs drehte ich das Radio auf, um dieses mit Musik zu unterstützen, und erwischte mich wenig später, wie ich, in einer Hand den Malerpinsel und in der anderen die Farbrolle haltend, zu Shakiras „Whenever, whereever“ lasziv die Hüften kreisen ließ. „Zum Glück sieht mich hier keiner!“, jubelte ich und legte mit ein paar Tanzschritten nach. Und schon sprang ich ausgelassen meine Malerwerkzeuge in der Gegend schwenkend herum, ohne auch nur einen einzigen
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