Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Mann, den Peter für den Schiffsarzt hielt.
Unterdessen waren sie Stiegen hinauf und wieder hinab gestiegen und hatten eine geräumige Kajüte betreten. Er wurde in eine Hängematte gebettet und sah sich staunend um, während der Arzt sich an einem Schrank zu schaffen machte, aus dem er Döschen, Schachteln und Mörser nahm. Diese Bootskajüte erschien Peter fast wie ein Palast, so etwas hatte er noch nie gesehen. Wundervoll geschnitzte Möbel standen darin, die jedoch bis auf wenige Ausnahmen am Schiffsboden festmontiert waren, welcher wiederum von dicken, leuchtenden Teppichen bedeckt war. Gerade schaute er überwältigt auf ein golden blitzendes Tintenfass mit bunten Intarsien und dazugehöriger Feder, wobei er überlegte, ob das wohl echtes Gold sei, als es einen ohrenbetäubenden Knall begleitet von einem rußigen Zischen gab, welcher das gesamte Schiff bis in die Flanken erschütterte. Das Geräusch von splitterndem Holz zog wie der ersterbende Schrei einer Möwe über die Fregatte hinweg, welche sich augenblicklich leicht auf die Seite legte. Peter schoss dank eines Adrenalinstoßes die Röte ins Gesicht, denn er wusste, was folgen würde. Dafür war der nette Schiffsarzt stattdessen etwas blasser geworden. Er hielt sich unbequem an einen Tisch geklammert, und jetzt, da die Erschütterung nachließ, stürzte er nach draußen, seinem Patienten noch ein „Bleib ruhig!“ zurufend.
Doch Peter dachte gar nicht daran, ruhig liegen zu bleiben und zu warten, bis ihn das Meer mitsamt des Kanonenbootes in seinen Schlund sog oder jemand aus der fremden Mannschaft zurückkehren und ihn abschlachten würde. An eine Rettung durch seine 'Familie' glaubte er nicht wirklich, weshalb er diese Möglichkeit von vorn herein ausgeschlossen hatte. Schließlich hatte der Käpt’n ihm deutlich zu verstehen gegeben, wie leicht und wie gerne er auf seine Dienste verzichten würde.
Er sprang entschlossen aus der Hängematte, seine blonden Haare nach allen Seiten abstehend, und war wie ausgewechselt. Nun, da eingetreten, was er gefürchtet hatte, war das, was er vormals als Angst gekannt hatte, nur noch ein heftiges Pochen in seiner Brust, welches ungeahnte Energien bis in seine Fingerspitzen und in die abgelegensten Gehirnzellen pumpte. Jedenfalls konnte er sich bloß so die plötzliche Klarheit erklären, die ihn befallen hatte, und die ihm haargenau eingab, was er als nächstes zu tun hatte.
Ganze fünf Meilen bis St. Petersburg. Er würde versuchen, den allgemeinen Tumult und darauf folgenden Kampf zu nutzen, um unbemerkt eines der Rettungsboote zu finden, sich dort zu verstecken, und, wenn das Schiff seine letzten Atemzüge machte, damit die russische Baltikküste zu erreichen.
Zwei Dinge machten Peter wirklich Sorgen, während er unbemerkt aus der Kabine schlich und anfangs etwas orientierungslos durch die dämmrigen Gänge des fremden Schiffes schlingerte. Zum einen dessen Mannschaft, doch er war davon überzeugt, dass mit dieser die Piraten bald abgerechnet hätten - es war fraglich, ob sie jemanden am Leben ließen -, zum anderen die eigenen Männer, welche ein viel gefährlicheres Hindernis darstellten. Was, wenn sie sich vom Untergang des Kanonenbootes persönlich überzeugen wollten? Was, wenn die Rettungsboote an der falschen Seite lagen? In seinem Kopf arbeitete es unaufhörlich, ebenso wie die Fetzen seiner dreiviertel langen Hose ruhelos bei jedem seiner Schritte nach hinten flogen, dort, wo einst der Saum gewesen war. Er bemerkte kaum, wie er mit der rechten Hand das Messer, welches Wilfrid Zeew ihm geschenkt hatte, fest umklammert hielt.
Vom Deck klangen nun, nach den ersten Überraschungsrufen über den unerwarteten Angriff, wilde Schreie, Flüche, Stöhnen und schließlich der Lärm von wütend aneinandergeratenen Säbeln. Die Piraten unter Ferdinand dem Seebeuter mussten gerade dabei sein, das Schiff zu entern. Nur ein blasser Streifen Licht drang nach unten und die Kabinen lagen wie ausgestorben eine neben der anderen. Peter war sich sicher, dass er hier im Moment niemanden antreffen würde, bewegte sich aber trotzdem übervorsichtig, die Hand schwach vor Augen erkennend, ehe er eine Tür öffnete. Ein rauhkehliges Johlen erreichte sein Ohr, welches gleich darauf jämmerlich erstarb. Alle Kabinen, die er öffnete, boten den gleichen Anblick – ungemachte Betten, die aussahen, als wären sie gerade erst verlassen. Es roch nach Schweiß, Seife und Wodka. Stiefel trampelten über ihm und Staubflocken
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