Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Raik frech herüberfeixte.
Die Wangen im sonst bleichen Gesicht des Alten glühten. Es war ihm anzumerken, dass er dem Wein inzwischen großzügig zugesprochen hatte. Die Blaskapelle spielte den Sunshine-Reggae und Onkel Albert begann mich während eines neuerlichen Auflebens seiner Kräfte mit Fragen zu bombardieren. Was machst du? Wo wohnst du? Wie stehst du zu Raik?
Ich versuchte, soweit es nicht zu indiskret war, ehrlich zu antworten, und gleichzeitig ein wenig mit ihm zu scherzen. Auf die Frage nach meinem Wohnsitz erklärte ich kurz angebunden, dass ich mich zur Zeit bei einer Freundin aufhalte.
„Aber hast du denn kein Zuhause, Mädchen?“, wollte er entsetzt wissen.
Ich wusste nicht, wie ich ihm zu verstehen geben konnte, dass ich mich in meiner Wohnung nicht mehr aufhalten könne und wolle, ohne dass weitere Fragen folgen würden. Schließlich interpretierte er meine ungelenken und wirren Erklärungen als einen Wasserrohrbruch und rief aufgeregt: „Da muss ich doch sofort mit Raik sprechen. Wir haben hier mehr als genug Platz und ich würde mich freuen, dich als meinen Gast hier zu sehen – so lange es nötig ist und gerne so lange du willst. Ich mag junge Leute um mich herum.“
Und ganz besonders junge Frauen – setzte ich im Stillen hinzu. Zuerst lehnte ich etwas peinlich berührt ab – alles war mir fremd und ich konnte mir nicht vorstellen, hier zu wohnen, zumal ich gut in der Wohnung meiner Freundin aufgehoben war -, aber dann schaute ich zu Raik hinüber und dachte: warum eigentlich nicht? Der Gedanke schien mir verlockend, in einem Schloss und auf einer Insel, zusammen mit Raik und – nun ja – auch einem Greis zu wohnen. Aber das ganze Anwesen war so groß, dass man sich wahrscheinlich selten über den Weg lief und es war Platz genug, um niemanden zu stören.
„Also gut, wenn Raik einverstanden ist, dann werde ich es mir überlegen.“
„Kann es denn daran Zweifel geben?“ Onkel Albert kicherte.
„Als ich noch jung war, mein Kind, was meinst du wie die Frauen mich mochten. Und ich mochte sie. Es gab nichts Schöneres, als eine hübsche Frau in meiner Nähe zu wissen und ich habe ihnen niemals die Tür gewiesen.“
Einige Umstehende lachten. Ich lachte ebenfalls und nickte bestätigend: „Daran habe ich keinen Zweifel.“
„Und nun husch – ich will dich mit Raik tanzen sehen. Zum Glück ist Annette nicht da. Die würde sonst die ganze Feier auf den Kopf stellen... meine Nichte“, setzte er erklärend hinzu.
Diese Aussage führte zu einer gewissen Beklemmung bei mir. Anscheinend war Annette, seine Ex, eifersüchtig und das konnte nur bedeuten, dass Raik ihr nicht vollständig gleichgültig geworden war. Ich versuchte mich zu erinnern, was er über sie erzählt hatte, wo sie sich zur Zeit aufhielt und ob es einen Hinweis gegeben hatte, wann sie zurückkehrte. Ich hoffte, es würde nicht sein, solange ich hier wohnte.
Raik war auf Onkel Alberts energisches Winken hin erschienen und nahm mich gehorsam in den Arm. Irgendwie hatte die Art, wie der alte Jubilar sich als Diktator seines Inselreiches ausgab, etwas anrührendes, zumindest für mich, aber ich fragte mich, ob es für diejenigen, die tagein und tagaus mit ihm zusammenlebten, nicht manchmal etwas anstrengend war. Doch wahrscheinlich wusste Raik, als sein Finanzverwalter, warum er ihm auf das Wort gehorchte und wieso sollte man so einem greisen Herrn nicht das letzte bisschen Vergnügen gönnen, dass er im Herumkommandieren fand? Letzten Endes erschien er durchaus von verträglicher und gutmütiger Art, sofern er sich nicht allein den Frauen so zeigte. Für einen kurzen Moment dachte ich daran, dass mir entfallen war, ihn nach dem Piratenschatz zu fragen. Aber gut, wenn ich mich länger hier aufhalten würde, würde sicher noch genug Gelegenheit dazu sein. Zufrieden und lächelnd schaute er von seinem Rollstuhl aus zu, wie Raik und ich eng aneinander gepresst tanzten, und bald war ich so im Gefühl von Raiks Nähe verloren, dass ich den Alten und den Rest um mich herum vergaß.
***
Wil hatte sich nach den herrlichen Einblicken in die Schatzkammer des Goldschmieds verabschieden wollen, aber Piotr hielt sie zurück. Es war schon weit nach Mitternacht und Wil erinnerte ihn daran, was wohl die Leute denken mochten, wenn sie so lange und bis in den Morgen hinein bei ihm zu Besuch blieb, aber Piotr interessierten die Leute nicht. „Dich haben die doch ebenfalls nie interessiert“, bemerkte er
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