Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Seine trüben Augen blitzten kurz auf, als er sie mit zittrigen Händen und unserer Hilfe entrollte.
„Oh, wunderbar. Vielen Dank, junges Fräulein. Gehören Sie zu meinem Finanzverwalter?“, wollte er etwas förmlich wissen.
„Ähm, ja, er hat mich eingeladen. Ich bin aber auch sehr entfernt verwandt mit Ihnen, nur fragen Sie mich nicht wie“, antwortete ich und lachte verlegen.
„Wir haben uns bei Tante Bärbel kennen gelernt“, erklärte Raik.
„Ahhhhh, ja. Sind Sie das erste Mal hier?“, wandte er sich erneut an mich, etwas unsicher wie mir schien, als wüsste er nicht, ob er mich als Verwandtschaft schon einmal gesehen habe oder wo er mich einordnen solle. Ich verneinte.
„Na dann schauen Sie sich nur in Ruhe um hier, Raik wird Ihnen sicher gerne alles zeigen.“
„Vielen Dank, ein schönes Anwesen haben Sie hier, so viel habe ich bereits festgestellt. Gehört Ihnen wirklich die ganze Insel?“, fragte ich mit einem leicht übertriebenen Erstaunen, denn eigentlich wusste ich es bereits.
„Aber ja, meine Liebe. Die Taubeninsel befindet sich seit mehr als einem Jahrhundert im Privatbesitz meiner Familie“, bemerkte der alte Herr stolz.
„Klasse! Toll!“ Ich war mir nicht sicher, ob er mich verstand. Aber er nickte und lächelte.
Eigentlich hätte ich jetzt gerne zum Piratenschatz seiner Vorfahren übergeleitet, wusste jedoch nicht, wie ich dies am unauffälligsten tun könnte. Bevor mir etwas einfiel, wies Albert von der Taubeninsel uns an, es uns schmecken zu lassen. Diese Aufforderung wäre gar nicht nötig gewesen, denn der Duft von Gegrilltem wehte verführerisch zu uns herüber und wir folgten ihm willig in die offene Grillküche am anderen Ende der Wiese.
„Der Albert scheint noch voll da zu sein“, sagte ich zu Raik, während ich einen Hausangestellten Würstchen, Steak und Salat auf meinen Teller häufen ließ.
„Ja, geistig ist er absolut fit, was erstaunlich ist für sein Alter, aber die Beweglichkeit ist stark eingeschränkt. Er sitzt dauerhaft im Rollstuhl.“
Wir schwiegen und suchten uns Platz an einem der Tische in der Nähe. Raik besorgte am Ausschank zwei große Gläser Wein. Mit heraufziehender Dämmerung wurde das Stimmengewirr im Garten lauter und ausgelassener. Ein paar Kinder spielten zur Blasmusik Ringelreihen und einige Erwachsene taten es ihnen nach und wagten die ersten Tanzschritte. Die Grillen unterließen vor Schreck ihr abendliches Konzert und lauschten den Klängen, welche nicht zu übertönen waren.
Je besser die Stimmung im Garten wurde, um so besser wurde auch die Stimmung des Jubilars. Ich sah, wie eine Pflegerin ihm großzügig Wein nachschenkte und ab und zu, auf seinen Wunsch hin, etwas Essen brachte. Den Rollstuhl hatte er in Richtung Tanzfläche gedreht und so klatschte er begeistert im Takt mit der Musik, bis er immer mal wieder zwischendurch zusammensackte, aber gleich darauf erneut begann.
Obwohl es noch nicht wirklich dunkel war, flammten die ersten Partylichter auf, welche den Garten festlich durchzogen. Das Essen war köstlich, doch ehe ich es restlos genießen konnte, wurden plötzlich Rufe laut und es gab eine kleine Unruhe, von der ich mit Schrecken bemerkte, dass sie meine Person betraf. Aus den Rufen erkannte ich die Worte „die junge Frau, die junge Frau“ und als ich neugierig in die entsprechende Richtung sah, stellte ich fest, dass Albert von der Taubeninsel undeutlich auf mich zeigte und die anderen um ihn herum hilfsbereit zu mir herüberriefen und winkten. „Geh schon!“, forderte Raik mich grinsend auf und ich ging. An den Herd der Unruhe eingetroffen erfuhr ich durch mehrstimmige Erklärungen, dass der alte Herr gerne mit mir Brüderschaft trinken wolle, denn schließlich seien wir ja verwandt und da könne es nicht angehen, dass wir uns Siezen. Mit einem Glas Wein drückte man mich auf den Stuhl neben ihn und ehe ich wusste, wie mir geschah, hatte ich schon seinen Arm umschlungen, nippte am Wein und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er seinerseits küsste nicht meine Wange, sondern meinen Mund und alle um uns herum applaudierten. Der Geruch von Alter umgab mich und stieg in meine Nase. Er kicherte und strahlte, als hätte er gerade eine sensationelle Eroberung gemacht. „Nenn mich Albert. Und wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, das kannst du mir glauben, dann hätte ich dich zum Tanzen aufgefordert.“
„Oh, das glaube ich gerne. Nenn mich Kira.“ Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie
Weitere Kostenlose Bücher